Was ihn am meisten überrascht hat+++Warum Neuss bald anders heißen könnte... Bürgermeister Breuer will nicht nur einen, sondern zehn Kräne sehen

Ein Jahr lang ist Reiner Breuer (SPD) Bürgermeister von Neuss. Der 47-Jährige versprach Veränderungen, wollte frischen Wind in das zuvor CDU-geführte Rathaus bringen. Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Was hat der nicht mehr ganz so Neue erreicht?

 Stadtpressesprecher Peter Fischer passt auf, dass sein Chef, den er duzt, nichts falsches sagt. Bürgermeister Reiner Breuer hat Frank Möll und Violetta Buciak (v.li.n.re.) in seiner Rathaus-Schaltzentrale zum Interview empfangen.

Stadtpressesprecher Peter Fischer passt auf, dass sein Chef, den er duzt, nichts falsches sagt. Bürgermeister Reiner Breuer hat Frank Möll und Violetta Buciak (v.li.n.re.) in seiner Rathaus-Schaltzentrale zum Interview empfangen.

Foto: Foto: Alina Gries

Wo soll es hingehen?

Herr Breuer, Sie sind Bürgermeister der ältesten Stadt Deutschlands, oder ist Trier älter?
Breuer: (lacht) Wenn Neuss nicht die älteste Stadt ist, so ist sie zumindest die schönste...

Eben weil Neuss eine Stadt mit reicher Geschichte ist, blicken wir auf eine lange Liste an Bürgermeistern zurück. Glauben Sie, dass die Häuptlinge dieser Stadt vor 2.000 Jahren ähnliche Sorgen hatten wie Sie?
Breuer: Da wird es sicher Unterschiede gegeben haben. Im übrigen gab es schon einmal einen Bürgermeister Breuer. Das war Adam Breuer, der von 1844 bis 1849 das Amt inne hatte und — nebenbei — auch (geborener) Präsident der Scheibenschützen war.

Wie ist das Gefühl, eine Stadt mit dieser Historie zu regieren?
Breuer: Es erfüllt mich mit Stolz. Bereits die Römer haben diese hervorragende Lage am Rhein entdeckt und genutzt. Deswegen will ich den Impuls setzen, unsere Stadt umzubenennen in Neuss am Rhein. Das muss natürlich erst sorgfältig geplant und dann vom Rat beschlossen werden.

Haben Sie sich Ihren neuen Job genauso vorgestellt, wie er jetzt ist?Breuer: Nun ja, die Arbeit war mir vorher nicht völlig fremd. Aber es gab natürlich auch einige Überraschungen. Im Grunde genommen habe ich drei Hauptbereiche: Ich bin Verwaltungschef, oberster Repräsentant der Stadt und ich habe den Vorsitz im Rat. Gerade der erste Punkt wird nach außen hin wenig beachtet. Dabei bin ich Chef von 1.500 Beschäftigten — das ist die Kernaufgabe.

Sie sprachen von Überraschungen. Bereits beim SPD-Neujahrsempfang erwähnten Sie, dass Ihr Vorgänger Ihnen mehr hinterlassen hat als erwartet, Stichwort: Korruption. Was heißt das konkret?
Breuer: Da gab und gibt es diverse Baustellen. Denken Sie nur an den Korruptionsskandal bei den Stadtwerken — da kam viel Arbeit auf uns zu.

Können Sie da eine Größenordnung geben? Wie viel Zeit nehmen diese Hinterlassenschaften in Anspruch?
Breuer: Ich mache das glücklicherweise nicht allein und habe gute Leute — speziell im Bereich der Antikorruptionsstelle. Der Job als Verwaltungschef umfasst sicherlich 50 Prozent aller meiner verschiedenen Aufgaben.

Sie wollten eine neue Führungsphilosophie im Rathaus einführen. Wie sieht das konkret aus?
Breuer: Ich habe bereits vor meiner Wahl gesagt, dass ich frischen Wind bringen will — das muss aber nicht gleich ein Orkan sein. Mir war es wichtig, alle Ämter persönlich zu besuchen und kennenzulernen. Ich will, dass sich die Leute einbringen, treffe dann aber auch Entscheidungen.

Was haben Sie in diesem Bereich verändert?
Breuer: Bei Beförderungen gab es offenbar nie ein System - oder es ging vielleicht nach Parteibuch (lacht). Das haben wir grundlegend geändert. Jetzt nutzen wir die Kriterien der entsprechenden Verwaltungsstelle. Neu ist auch die gesteigerte Zahl der Azubis. Wir bieten den jungen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich verbeamten zu lassen. Das habe ich eingeführt, nachdem ich aufgrund dieser fehlenden Möglichkeit einen Bewerber an Mönchengladbach verloren habe.

Wir haben uns das Interview vor der Bürgermeisterwahl angesehen. Da sagten Sie, dass Sie auch die Ratsmitglieder mitnehmen, sie achten und nicht als Vollpfosten behandeln wollen. Gerade von der CDU hagelt es Kritik was den Umgang mit der Partei angeht...
Breuer: Das ist mir vollkommen klar. Denn jetzt werden die Mitglieder der CDU nicht mehr bevorzugt — sie werden wie alle anderen auch behandelt. Das bedeutet, dass sie drei Tage nach Anfrage eine Antwort von der Verwaltung bekommen.

Immerhin gibt es auch CDUler, die Sie loben. Ihr oberster Wirtschaftsförderer Frank Wolters sagt, Sie seien der beste Bürgermeister im Rhein-Kreis Neuss.
Breuer: (lacht) Dann wird das wohl so sein.

Im Rat herrschen auch nach der Wahl schwierige Mehrheitsverhältnisse. Vorstöße Ihrerseits, wie das Whitesell-Gelände aufzukaufen, wurden durch die Koalition CDU/Grüne blockiert.
Breuer: Dafür werden 95 Prozent aller Anträge einstimmig beschlossen. Natürlich gibt es hier und da Unterschiede. Parteien wollen und sollen sich profilieren. Streitereien gehören auch mal dazu.

Dennoch gibt es keine starke Opposition. Bürger wissen oft gar nicht, durch wen welche Beschlüsse erfolgt sind, weil sich Parteien gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben oder umgekehrt sich selbst für die Erfolge feiern. Halten Sie das für demokratiefeindlich?Breuer: Für mich ist gerade das Demokratie pur. Es gibt keine geborene Mehrheit. Politik sollte der Sache orientiert sein — gerade im kommunalen Bereich ist das sehr förderlich.

Sie regen ja jetzt auch einen Bürgerentscheid an. So soll über die Zukunft des Stadtbades entschieden werden. Wieso auf diesem Wege?
Breuer: Wenn es zu einer wesentlichen Veränderung bei der Bäderlandschaft kommen soll, sollten die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben. Dass das Stadtbad abgängig ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Es besteht ein erheblicher Sanierungsstau! Nun haben wir einen Strauß von Möglichkeiten, wie wir damit umgehen. In der Ratssitzung Mitte November werde ich empfehlen, für einen Ratsbürgerentscheid abzustimmen.

Würde das nicht hohe Kosten verursachen?
Breuer: Das könnte man minimieren, indem man die Abstimmung gemeinsam mit der Landtagswahl durchführen würde.

Eines Ihrer größten Ziele von Beginn an ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Was haben Sie dafür bereits getan und was wollen Sie noch tun?
Breuer: Im vergangenen und in diesem Jahr wurde nicht gebaut. Das empfinde ich als Skandal, habe das aber auch nicht zu verantworten. Dennoch konnten wir bereits viele vorbereitende Maßnahmen auf den Weg bringen. Auf der Expo Real in München haben wir die Chance genutzt, Partner für unser Vorhaben zu gewinnen. Ich will nicht nur einen Baukran, ich will zehn Baukräne sehen.

Wer ist dafür verantwortlich, dass im vergangenen und diesem Jahr nicht gebaut wurde?
Breuer: Es wurde schlichtweg zu viel Energie in andere Projekte wie an der Schillerstraße gesteckt — diese sind allerdings im hochpreisigen Segment anzusiedeln. Ich habe bereits heftige Diskussionen mit dem Bauverein geführt, in denen es unter anderem um die Kernkompetenzen ging.

Sie haben vor der Wahl dafür geworben, dass Sie die Kitagebühren abschaffen wollen. Funktioniert hat das nicht, stattdessen haben CDU und Grüne eine Tabelle auf den Weg gebracht, durch die die meisten Familien entlastet werden...
Breuer: Das war ein Vorschlag der Verwaltung.

Da sind wir wieder bei dem Punkt, dass sich Parteien bei erfolgreichen Beschlüssen gern selbst feiern.
Breuer: Dennoch sind wir damit natürlich noch nicht am Ziel. Aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin. Im Wahlprogramm der SPD für die Landtagswahlen ist zu lesen, dass für diesen Bereich weitere Gelder fließen sollen.

Warum können die Gebühren nicht sofort abgeschafft und Familien entlastet werden?
Breuer: Wir haben ein strukturelles Haushaltsdefizit. Uns fehlen zehn Millionen Euro. Aus eigener Kraft können wir die Abschaffung also kaum refinanzieren.

An welcher Stelle kann gespart werden?
Breuer: Die Einnahme- und Ausgabesituation muss verbessert werden. Eine Arbeitsgruppe Konsolidierung wurde auf meinen Vorschlag hin einstimmig vom Stadtrat eingerichtet. Zudem haben wir interkommunal geschaut, welche Stellen zusammengefasst werden können. Das haben wir bereits in einem Fall getan und so 80.000 Euro eingespart.

Noch mal zurück zur familienfreundlichen Stadt: Eltern haben große Probleme, einen Termin beim Kinderarzt zu bekommen. Da überhäufen uns die Beschwerden. Wir wissen, das liegt nicht in Ihrem Aufgabenbereich...
Breuer: Dennoch bin ich natürlich interessiert daran, dass sich etwas tut. Ich spreche unseren Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe gerne an, wenn er etwas auf Bundesebene für die Stadt Neuss tun kann. Ebenso nutze ich mein politisches Netzwerk auf Landesebene, das ich aufrecht erhalten habe.

Sie werden viel von Bürgern angesprochen, bekommen besonders in den sozialen Netzwerken viel positive Kritik. Wie gehen Sie mit negativer Kritik um?
Breuer: Ich stelle mich ihr. Auch ich bin nicht fehlerfrei. Solange man fair bleibt, begrüße ich die Kritik sogar.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Violetta Buciak und Frank Möll im Rathaus

(Kurier-Verlag)
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