Sterbenskranker Obdachloser mitten in Neuss misshandelt

Neuss · Verletzt und völlig verwahrlost lag Vladimir K. wochenlang an der Bushaltestelle Hammfelddamm. Ehrenamtler retteten ihm das Leben, indem sie dafür sorgten, dass der Obdachlose in ein Krankenhaus eingewiesen wurde.

 Vladimir K. hat Glück gehabt. Gerade noch rechtzeitig haben ihn Helfer von „Neuss packt an“ gefunden und ihm vermutlich das Leben gerettet.

Vladimir K. hat Glück gehabt. Gerade noch rechtzeitig haben ihn Helfer von „Neuss packt an“ gefunden und ihm vermutlich das Leben gerettet.

Foto: Violetta Buciak

Doch dann begann die eigentliche Tortur.

Durchgenässt und frierend lag K. an der Bushaltestelle — der Dauerregen und die Kälte machten ihm zu schaffen. Anstatt Hilfe zu bekommen, machten sich Passanten über ihn lustig, Jugendliche traten auf ihn ein, niemand fühlte sich für ihn verantwortlich. Der 59-Jährige war ganz unten angekommen. Nur per Zufall erfuhr das Team von "Neuss packt an — warm durch die Nacht" von dem Fall.

Die noch junge Gruppe wurde von einer Neusserin informiert, suchte den hilflosen Mann sofort auf. "Ich war schockiert. Vladimir hatte offene, blutende Wunden am Bein, konnte nicht mehr gehen. Er war eingenässt, hatte lange Haare, sein Gesicht war kaum zu erkennen", beschreibt Martina Engels seinen akuten Zustand. Hartnäckig sorgte sie dafür, dass der Obdachlose sofort in ein Krankenhaus eingewiesen wurde. Dort stellten die Ärzte fest, dass der Mann extrem schlechte Blutwerte hatte und mehrere Wochen unter Beobachtung stehen musste. "Vladimir hat Diabetes. Er muss jeden Tag entsprechende Medikamente nehmen", macht Engels deutlich, dass der Mann auf permanente Hilfe angewiesen ist. Doch die sollte ihm zunächst verwehrt bleiben.

"Die Unterkunft am Derendorfweg bietet nur abends einen Schlafplatz. Zudem hatten wir die Sorge, dass Vladimir dort wieder in Berührung mit Alkohol käme. Im Haus Lebensbrücke´ gibt es zu wenige Plätze und eine lange Warteliste. Wir hatten die Sorge, dass er wieder auf der Straße landen würde", so Engels. Der 59-jährige Familienvater ist durch viele ungünstige Umstände in die Obdachlosigkeit gerutscht. "Ich bin auf der Krim aufgewachsen, habe dort Philosophie studiert. Für die Liebe bin ich nach Deutschland gegangen, habe dort als Technischer Sachbearbeiter gearbeitet und mir eine kleine Familie aufgebaut", erzählt K. aus seiner Vergangenheit. Die Trennung seiner Frau, der Tod seiner Eltern und der Kontaktabbruch zu seiner Tochter — all das warf ihn komplett aus der Bahn, führte ihn zum Alkohol. "Ich habe niemanden mehr", so der Kaarster. "Alte und kranke Obdachlose bekommen in Neuss zu wenig Hilfe", klagt Engels. "Für diese Menschen muss mehr getan werden." Und die engagierte Helferin macht deutlich: "Wenn es uns nicht gegeben hätte, wäre der Mann vielleicht nicht mehr am leben."

Bürgermeister Breuer klärt auf, wo die Stadt Neuss hilft: "Grundsätzlich sind auch Wohnungslose gesetzlich krankenversichert und können somit alle medizinischen Leistungen bei Bedarf erhalten. Darüber hinaus werden im 14-tägigen Wechsel medizinische Sprechstunden durch einen ortsansässigen ehrenamtlichen Allgemeinmediziner im Café-Ausblick, Breite Straße 105 (Fachberatungs- und Kontaktstelle für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten) als auch in der Suppenküche der Alexianer, angeboten." Zusätzlich gebe es persönliche Hilfen wie den Kontakt und die Beratungsstelle des Caritasverbandes Rhein-Kreis Neuss. "Aber leider war dennoch niemand für Vladimir da", so Engels. Dem 59-Jährigen geht es heute gut, er wurde im Nikolauskloster in Jüchen aufgenommen — wieder durch die Hartnäckigkeit der Neusser Ehrenamtler.

(Kurier-Verlag)
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