Trügerische Freude: Erst kommt das Glücksgefühl – dann folgt die Verzweiflung Wenn Spielen süchtig macht...

Neuss · Am Geldspielautomaten wollte Denis G. es sich „einfach nur gemütlich machen“, nur abschalten vom Arbeitsstress. Doch er verlor die Kontrolle und verspielte ein kleines Vermögen. Seit 15 Monaten ist er spielfrei. Dabei half ihm die konsequente Haltung seiner Frau. Ein Fall von Glücksspielsucht, der ein gutes Ende fand. Doch die Caritas im Rhein-Kreis warnt vor steigenden Glücksspielzahlen in Neuss. Und die Stadt wurde aktiv: Im Rahmen einer groß angelegten Kontrollaktion wurden zahlreiche Spielgeräte stillgelegt.

 Trügerische Freude: Erst kommt das Glücksgefühl – dann folgt die Verzweiflung. Glücksspielsucht ist auch in Neuss weit verbreitet.

Trügerische Freude: Erst kommt das Glücksgefühl – dann folgt die Verzweiflung. Glücksspielsucht ist auch in Neuss weit verbreitet.

Foto: Landeskoordinierungsstelle Glüc/Richard Westebbe

Laut Angaben der Landeskoordinationsstelle Glücksspielsucht NRW hat sich in Neuss die Zahl der in Spielhallen aufgestellten Automaten seit 2006 bis 2018 von 130 auf 295 mehr als verdoppelt. Deren gesamter Kasseninhalt steigerte sich im selben Zeitraum von knapp 2,4 Millionen Euro auf fast 9,5 Millionen Euro. Bei den städtischen Erträgen der Steuer auf Geldspielgeräte ist allerdings von 2018 auf 2019 ein Rückgang zu verzeichnen – von 2,25 Millionen Euro auf 1,95 Millionen Euro.

„Allerdings wird sich der Ertrag deutlich verringern – nicht nur wegen Corona. Durch die Auswirkungen des Glücksspielstaatsvertrags mussten etliche Spielhallen in Neuss schließen“, weiß Stadtpressesprecher Peter Fischer. Dennoch hat das Ordnungsamt in Kooperation mit der Polizei und dem Arbeitskreis Spielsucht eine groß angelegte Kontrollaktion durchgeführt. An elf Standorten wurden 14 Geldspielgeräte kontrolliert, sieben entsprachen nicht den Vorschriften der Spielverordnung und wurden außer Betrieb gesetzt.

Neben Verstößen wie fehlenden Jugendschutzbestimmungen, Möglichkeiten der Bargeldeinzahlung in Sportwettbüros oder anderen Verfehlungen wurden bei der Kontrolle 21 illegale Fun-Games entdeckt. Davon wurden drei kleinere Geräte sofort sichergestellt und 18 weitere versiegelt, welche noch dem Landeskriminalamt zur Auswertung übergeben werden müssen. Bei dem Betrieb von Fun-Games handelt es sich nicht nur um eine Ordnungswidrigkeit, sondern auch um eine Straftat. Auch wurden zwei Sportwetten-Terminals stillgelegt.

Durch eine Gesetzesänderung zum 11. Oktober 2019 dürfen in Gastronomiebereichen nur noch zwei statt drei Geldspielgeräte aufgestellt werden. Um das zu kompensieren, nutzten Automatenaufsteller die vergangenen Monate, um das dritte Geldspielgerät durch ein sogenanntes Fun-Game auszutauschen, das jedoch als illegales Glücksspiel anzusehen ist. Sukzessive sollen nun weitere Standorte im Stadtgebiet überprüft und illegales Glücksspiel konsequent unterbunden werden.

Dies ist ganz im Sinne von Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas im Rhein-Kreis Neuss. „Grundsätzlich gilt: Je höher die Verfügbarkeit von Glücksspielangeboten ist, desto höher ist auch die Anzahl der Menschen, die davon abhängig werden“, betont sie. Spontane Gewinne würden beispielsweise die Stimmung heben, Probleme vergessen lassen und dem Stressabbau dienen.

„Wer Pech hat, gewinnt am Anfang und ist verführt, Glücksspiel als ständig abrufbaren Stimmungsaufheller einzusetzen“, so Verhoeven. Diese Art der Gewöhnung sei die Grundlage für die Entwicklung einer Glücksspielsucht. Bisher seien rund 80 Prozent der Betroffenen Männer mittleren Alters, „aber es werden immer mehr Frauen, gerade bei den jüngeren Leuten“. Eins haben sie gemeinsam: Nach einem Gewinn kommt die Verlustphase. Sie jagen den Verlusten hinterher, um die Miete zahlen oder die Familie ernähren zu können. Oftmals haben sie mehrere Jobs, um ihre Sucht finanzieren zu können.

Eine große Gefahr sieht Verhoeven auch in der Duldung des Online-Glücksspiel, das bis Oktober in den Bundesländern bis auf Schleswig-Holstein verboten war – doch dieses Verbot wurde aufgehoben. Betroffene, die unter Glücksspielsucht und deren Folgen leiden, sowie deren Angehörige können sich jederzeit unter Tel. 02131/88 91 70 oder per E-Mail unter info@spielsucht.net mit Beratungsfragen an die Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas im Rhein-Kreis Neuss wenden. Denn Verhoeven weiß: „Beim Glücksspiel gewinnen nur die Anbieter und nicht die Spieler!“

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