Von „sozialer Ungerechtigkeit“ bis zur verminderten „Lust am Ehrenamt“: Was die Sportvereine zur Einführung von Entgelten für die Nutzung städtischer Sportanlagen sagen

Neuss · Die Stadtverwaltung schlägt vor, zum 1. Januar 2024 von allen Sportvereinen Entgelte für die Nutzung städtischer Sportstätten zu verlangen. Ein Schritt zur Haushaltskonsolidierung, der allerdings von einigen Sportvereinen vehement abgelehnt wird. Beim Termin mit dem Stadt-Kurier vor dem Neusser Rathaus machten die Vereinsverantwortlichen deutlich, was die geänderte Entgeltordnung ihrer Ansicht nach konkret bedeuten würde.

 Sie zeigen der geplanten Einführung von Entgelten für die Nutzung städtischer Sportstätten die kalte Schulter: Mitglieder des Eltern-Kind-Turnens beim TuS Reuschenberg.

Sie zeigen der geplanten Einführung von Entgelten für die Nutzung städtischer Sportstätten die kalte Schulter: Mitglieder des Eltern-Kind-Turnens beim TuS Reuschenberg.

Foto: TuS

Rund 70.000 bis 80.000 Euro müsste die TG Neuss laut ihrem Vorsitzenden Mario Meyen an Mehrkosten aufbringen. Dies habe mehrere Auswirkungen: Der Beitrag müsse um zwei bis drei Euro pro Mitglied und Monat erhöht werden. „Eine weitere Möglichkeit wäre, das Leistungsangebot einzuschränken. Dann gebe es zum Beispiel keinen Leistungs-Basketball mehr. Wenn das der Wunsch der Verwaltung ist, müssen wir darüber reden. Für mich ist dies allerdings der gänzlich falsche Weg“, so Meyen, der auch deutlich macht, dass eine Beitragserhöhung erfahrungsgemäß rund zehn Prozent der Mitglieder zu Kündigungen verlassen würde. Bei der TG wären dies rund 500 Abwanderer. „Dies alles sowie die Kürzung der Mittel vom Landessportbund berücksichtigt, würde uns insgesamt circa 150.000 bis 180.000 Euro kosten.“ Zudem kümmere sich der Verein unter anderem um Flüchtlinge oder Menschen mit geringem Einkommen. „Diese Klientel zu betreuen ist eine Herausforderung an den Vereinssport, ebenso wie Sport für übergewichtige Kinder oder zur Krebsnachsorge. Alles Leistungen, die Verein dann nicht mehr so günstig erbringen könnte“, sagt Meyen.

Andreas Bonnen, 2. Vorsitzender der SVG Weissenberg, rechnet vor, dass die Stadt aufgrund der Selbstverwaltung des Vereins seit elf Jahren alljährlich rund 50.000 Euro einspare. „Wenn diese Verträge gekündigt werden, müssen wir uns überlegen, ob wir sie erneut abschließen“, ärgert sich Bonnen über die geplante Erhöhung, die das Abschließen eines neuen Vertrags zwischen SVG und Stadt voraussetzen würde. Dabei hat der rund 680 Mitglieder starke Verein in der Vergangenheit auch viel Geld in den Hubert-Schäfer-Sportpark investiert, unter anderem in die energiesparende Flutlichtanlage und den neuen Kunstrasen. Bonnen: „Wahrscheinlich müssten wir dann unsere kostenlosen Angebote aufgeben, Kooperationen mit Kitas und Schulen könnten nicht weitergeführt werden.“

Auch der TuS Reuschenberg trägt für seine Bezirkssportanlage ein großes Stück Selbstverantwortung: Nach Dienstschluss der städtischen Mitarbeiter – also in den Abendstunden und an den Wochenenden – übernimmt der Verein die Arbeit. „So hat die Stadt seit 2011 rund 200.000 Euro Personalkosten eingespart“, rechnet TuS-Geschäftsführer Willi Mohren vor. Aber auch dieser Vertrag müsse im Falle der Erhöhung modifiziert werden. Sein Verein (rund 820 Mitglieder, davon fast 70 Prozent Kinder und Jugendliche) müsse die Nutzungsgebühr voll an den Kinder- und Breitensport weitergeben, die Beiträge würden sich nahezu verdoppeln. „Und der Handball wäre durch die Hallengebühren hochgradig gefährdet“, weiß Mohren. Auch berichtet er von einem Sanierungsstau im Vereinsheim: „Wir haben mehrmals im Jahr Rohrbrüche – und nichts passiert.“

Bernhard Sprenger, Geschäftsführer des BV Weckhoven, verweist auf eine Erhebung des Stadtsportverbands Neuss, wonach es in Weckhoven sehr viele übergewichtige Kinder gebe – und die bräuchten dringend den Anschluss an einen Sportverein. Gerade Sportarten in der Halle seien für den Einstieg sehr beliebt, „aber Hallensport würde unerschwinglich teuer werden“, erklärt Sprenger. Sein Verein müsste circa 10.000 Euro mehr für Nutzungsentgelte einrechnen.

Stephan Schorreck, Vorsitzender der Holzheimer SG, sieht 7.000 bis 10.000 Euro Mehrkosten auf seinen Verein zukommen, „die könnten wir nur über eine Beitragserhöhung stemmen“.

Hermann-Josef Baaken, Vorsitzender des TSV Norf, erklärt: „Wir leisten mit den Sportvereinen einen wichtigen Beitrag für Gemeinwohl und Gesundheit. Nach den schwierigen Jahren brauchen wir jetzt die uneingeschränkte Unterstützung der Stadt Neuss und sanierte Sportstätten statt Gebühren, die zu erhöhten Mitgliedsbeiträgen führen würden und den Familien mit Kindern besonders schaden.“

Sven Schümann, Vorsitzender des SV Rosellen: „Die Erhebung von Nutzungsentgelten würde zwangsläufig bei uns zu einer Beitragserhöhung führen, die wir regulär erst für 2025 beschließen könnten. Zudem wären wir eingeschränkt, um uns an Investitionen in Sportanlagen beteiligen zu können.“

Nadja Arvanitidis, Kassiererin der DJK Rheinkraft Neuss, findet ebenfalls deutliche Worte: „Nutzungsentgelte würden die Sportvereine und all ihre Mitglieder, die durch Corona, Inflation und Energiekrise  genug gebeutelt wurden, zusätzlich belasten. Einige Vereine wären existenziell bedroht, viele Familien mit Kindern werden sich vielleicht keine Sportangebote mehr leisten können. Eine soziale Ungerechtigkeit, die man nicht kampflos hinnehmen darf.“

Siggi Willecke, Geschäftsführer des Neusser Schwimm-Vereins (NSV), berichtet von zwei angedachten Entgelt-Modellen: Das eine würde bei bis zu 18.000 Euro pro Jahr, das andere rund 40.000 Euro pro Jahr Mehrkosten verursachen. „Dann wäre es schwer, den Leistungssport weiter zu führen“, ärgert sich Willecke. Auch bei den Kursen für Nichtschwimmer müssten wohl Abstriche gemacht werden. Zurzeit sind hierfür drei hauptamtliche Halbtagskräfte beim NSV angestellt. Allein in den Sommerferien hatten sie rund 800 Kindern das Schwimmen beigebracht. Aber Willecke, im 25. Jahr NSV-Geschäftsführer, sieht noch ein anderes Problem: „Man verliert langsam die Lust am Ehrenamt.“

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