Christian Gaumitz: „Im Kaarster Rathaus wird zu viel diskutiert und zu langsam umgesetzt"

Kaarst · "Ein Interview an Ihrem Lieblingsplatz in Kaarst" — das war das Angebot des Kaarster Stadtspiegels: Christian Gaumitz, gemeinsamer Bürgermeisterkandidat von SPD, Grünen, FDP, Zentrum und UWG, wählte die Kaarster Stadtmitte, Treffpunkt vor dem Rathaus.

 Bei einen Heißgetränk im Kunstcafé EinBlick beantwortete Christian Gaumitz die Fragen des Redakteurs.

Bei einen Heißgetränk im Kunstcafé EinBlick beantwortete Christian Gaumitz die Fragen des Redakteurs.

Foto: Rolf Retzlaff

Ob er da schon mit seinem neuen Lieblingsplatz, dem Bürgermeisterbüro auf der vierten Etage, geliebäugelt hat?

Warum haben Sie die Kaarster Mitte gewählt?
Ich bin ein Kind der Stadtmitte, bin hier aufgewachsen, habe hier die Grundschule Stakerseite und das Albert-Einstein-Gymnasium besucht. Ich erinnere mich an die Zeit, als das Rathaus noch nicht gebaut war. Im Sommer haben wir auf dem Feld Hüttendörfer gebaut, Obstbäume standen hier. Es war eine sehr schöne Kindheit, und ich wohne noch immer in der Stadtmitte, habe eine hohe emotionale Bindung zu diesem Stadtteil.

Ein Bürgermeister für den Ortsteil Kaarst also...?
Ganz und gar nicht! Meine Generation sieht Kaarst als Stadt in ihrer Gesamtheit. Über den Nordkanal als angeblich trennendes Element kann ich nur schmunzeln.

Das heißt, es gibt auch in den einzelnen Ortsteilen viel zu tun?
Richtig! In Vorst muss beispielsweise der Standort für das neue Jugendzentrum festgelegt werden. In Büttgen müssen wir nach der Eröffnung des Rewe-Marktes die Aufenthaltsqualität verbessern und die Verbindung zwischen Rathaus und Berliner Platz aufwerten. Auch ist hier die Hausarzt- und Facharztversorgung eine Herausforderung, bei der ein moderierendes Eingreifen der Stadt gefragt ist.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Kaarst ist für mich...
...eine sehr lebenswerte Stadt mit unheimlich vielen engagierten Menschen, die zukünftig noch mehr ihr Potenzial ausschöpfen muss.

Wo sehen Sie dieses Potenzial?
Zum Beispiel in der sehr guten Lage und der guten Infrastruktur. Unsere Stadt verfügt über zwei S-Bahn-Anschlüsse, liegt nahe an Düsseldorf, Krefeld und Mönchengladbach. Aber leider wird Kaarst teilweise wie ein Eifeldorf verwaltet; da muss mehr daraus gemacht werden!

Woran denken Sie da zum Beispiel?
Viele junge Leute ziehen wegen der Lage und Lebensqualität nach Kaarst. Wir müssen also noch mehr auf eine gute soziale Infrastruktur achten. Dazu gehören U3, Kindertagesstätten, eine fußläufig erreichbare Grundschule und weiterführende Schulen.

Herrscht hier aktuell Handlungsbedarf?
Ja, denn die Grundschule Stakerseite ist ein Provisorium, das jetzt seinen 40. Geburtstag gefeiert hat. Ein 40 Jahre alter Plattenbau ist keine Visitenkarte für Kaarst. Dabei wird hier tolle Arbeit geleistet: 85 Prozent der Grundschüler besuchen den OGATA. Eine sehr gute Quote, die wir auch als Standard festgelegt haben. Deshalb wird es Containermodule für den OGATA Stakerseite und die Grundschule Alte Heerstraße sowie einen Erweiterungsbau für die Astrid-Lindgren-Schule geben. Man merkt: Wir machen uns auf den Weg, Bisher wurde von Einzelfall zu Einzelfall entschieden, nie strukturiert geplant.

Warum ist Ihrer Meinung nach Christian Gaumitz besser für Kaarst als Dr. Ulrike Nienhaus?
Weil ich glaube, dass Kaarst bereit für frischen Wind ist. Wenn eine Partei — egal welche — so viele Jahrzehnte in einer Stadt regiert, tut ein Wechsel und Wandel der Gesellschaft gut. Und da ist die Verwaltungsspitze maßgeblich Dreh- und Angelpunkt. Ich plädiere für eine neue Offenheit, eine transparentere Verwaltung. Ich will die Bürger mehr mitnehmen.

Das Fünfer-Bündnis spricht bereits jetzt vom viel zitierten frischen Wind, der durch den Ratssaal weht...,
...weil zum ersten Mal in der Kaarster Nachkriegsgeschichte die CDU keine Ratsmehrheit besitzt. In dem einen Jahr als Bündnis haben wir vieles auf den Weg gebracht und politische Ränkespiele beiseite gelassen. Jeder bringt seine persönlichen und beruflichen Kenntnisse ein; wir denken nicht in parteipolitischen Kästen, kommen mit Kompromissen gut klar.

Sie wollen also als Bündnis-Bürgermeister auf dem städtischen Chefsessel Platz nehmen?
Immerhin haben die Christdemokraten bei der letzten Kommunalwahl in Kaarst 44 Prozent erhalten. Ich habe von Anfang an klar gemacht, dass ich auch im Sinne der CDU stimmen werde, sollte ich mit ihnen einer Meinung sein. Und darin sehe ich auch einen großen Unterschied zwischen Dr. Nienhaus und mir: Ich setze auf das Zusammenführen der politischen Parteien. Das habe ich bei 16 Jahren Franz-Josef Moormann vermisst.

Geben Sie ein kurzes Beispiel.
Bei den letzten Haushaltsberatungen saßen zum ersten Mal alle Ratsfraktionen an einem Tisch und haben über das strukturelle Defizit und Zukunftsvisionen diskutiert. Hier soll nicht nur eine Fraktion entscheiden.

Alle Fraktionen an einem Tisch — eine versöhnliche Nachricht in Zeiten des verschärften politischen Klimas.
Angriffe wie der der Jungen Union oder der CDU mit Ausdrücken wie Blockade-Bündnis machen deutlich, dass die CDU noch nicht in der Realität angekommen ist, sich im Dauer-Wahlkampfmodus befindet. Vielleicht wird das Ganze nach dem 13. September entspannter. Wir können schließlich nicht bis 2020 im verbalen Kampfmodus bleiben. Immerhin haben wir ganz große Herausforderungen vor uns, wie zum Beispiel Millioneninvestitionen in die Gesamtschule, Grundschule Stakerseite, das neue Feuerwehrgerätehaus, die Karlsforster Straße und die Birkhofstraße in Büttgen.

Nicht zu vergessen die Gestaltung der Innenstadt...,
...für die wir bis September 2016 ein integriertes Handlungskonzept auf die Beine stellen, mit dem Landesmittel aus der Städtebauförderung beantragt werden sollen. In einer ersten Runde werden im Herbst Einzelhändler, Vereine und Institutionen aus der Innenstadt eingeladen. Danach wird es eine offene Veranstaltung für alle Bürger geben. Wir werden Ideen sammeln und zusammenfassen.

Die Entwicklung der Innenstadt ist also eins Ihrer Hauptanliegen?
Genau, wir müssen hier endlich konkret werden. Der zehn Jahre alte Rahmenplan wurde nicht umgesetzt. Jetzt machen die Einzelhändler zu Recht Druck. So muss zum Beispiel das Maubis-Center dringend städtebaulich aufgewertet werden. Auch sollten wir eine einheitliche Möblierung in der Stadt schnell realisieren — und nicht bis in fünf Jahren vertagen!

Sie fordern also schnellere Entscheidungen?
Ja, im Rathaus wird zu viel diskutiert und zu langsam umgesetzt. Projekte sollten mit Bürgerbeteiligung in einem verbindlichen Zeitplan realisiert werden — und nur begonnen werden, wenn der Zeitplan auch eingehalten werden kann. Stattdessen führt die Stadt ein Klageverfahren nach dem anderen; da gehen viel Verwaltungskraft und Zeit drauf. Die Stadt verkämpft sich immer wieder, nur um Recht zu haben.

Auf Ihrer Agenda steht auch die Jugendpartizipation.
Sie ist ein Leitmotiv meiner politischen Arbeit. Ich bin 1998 über das Jugendforum zur Politik gekommen und werde diese Einrichtung wieder ins Leben rufen. Wir brauchen ein niederschwelliges Angebot, das zu den Jugendlichen geht. Auf der anderen Seite haben wir den Seniorenbeirat durchgesetzt. Ich setze darauf, dass sich die Menschen an der Entwicklung unserer Stadt beteiligen. So hat das Fünfer-Bündnis sofort die Geschäftsordnung geändert, damit Bürger in den Ausschüssen Fragen zu den Punkten auf der Tagesordnung stellen können. Das war bisher nicht möglich.

Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Vor allem in Sachen Finanzen. Wir müssen überlegen, wie wir mit dem strukturellen Defizit umgehen. Da kann zum Beispiel ein funktionierendes Gebäudemanagement Kosten senken. Auch stimmt was nicht bei der Wirtschaftsförderung. Es kann nicht sein, dass SAP mit mehr als 200 Mitarbeitern abwandert. Und auch L'Oreal wird Kaarst verlassen. Wir müssen eine bessere Infrastruktur schaffen. Dazu gehört auch der Breitbandausbau. Ich streite schon seit drei Jahren mit der Verwaltung, dass immer dann, wenn Straßen sowieso aufgerissen werden, auch Leerrohre verlegt werden sollten. So könnte ein Leerrohrnetz in Kaarst geschaffen werden, das für die Zukunftstechnologie genutzt werden könnte. Die Verwaltung muss das anpacken!

Jetzt gibt es eine Gelegenheit, die sich in dieser Form wahrscheinlich nicht wiederholen wird: Eine Fee aus den Tiefen des kommunalpolitischen Märchenwaldes gewährt Ihnen drei Wünsche...
Ich wünsche mir, dass wir immer selbstbestimmt Politik machen können und an einer finanziellen Fremdbestimmung durch Haushaltssicherung und Sparkommissar vorbei kommen. Zudem wünsche ich mir, dass endlich ein gemeinsames Leitbild für Kaarst entwickelt wird, wie unsere Stadt in den nächsten 20 Jahren aussehen soll. Das Leitbild 2020 wurde nie verwirklicht. Schließlich wünsche ich mir, dass wir eine lebendige Stadtgesellschaft mit offener Beteiligungskultur schaffen. Bei Projekten sollten gute Ideen zählen — und nicht das Parteibuch.

Wie stellen Sie sich Ihren ersten Tag als Bürgermeister vor?
Ich werde alle Mitarbeiter zusammenrufen. Ich glaube, dass einige von ihnen innerlich gekündigt haben, aber über viel Potenzial verfügen. Ich will die Mitarbeiter motivieren und mitnehmen. Gemeinsam werden wir in allen Büros die Fenster öffnen und so symbolisch das Rathaus durchlüften und für frischen Wind sorgen.

Eine große Herausforderung für Sie, schließlich verfügen Sie über keine Führungserfahrungen.
Das sehe ich auch als Vorteil. Ich bin ein Teamplayer, der auf einen kooperativen Führungsstil setzt. Ich werde die Fachkenntnis der Bereichsleiter nutzen und ihnen mehr Verantwortung geben. Es muss nicht jede Kleinigkeit über den Bürgermeister-Tisch gehen.

Nennen Sie ein Beispiel.
Der Kulturmanager hat kein eigenes Budget. Er kann selbst über Aktionen, die nicht viel Geld kosten, nicht eigenständig entscheiden. Das muss sich ändern.

Zum Schluss noch eine Frage zum Schützenwesen. Sie werden oft kritisiert, als Grüner nichts von der Brauchtumspflege zu halten.
Das Schützenwesen gehört zu Kaarst, ist eine wertvolle Stütze der Gesellschaft. Ich bin eher ein Freund des Winterbrauchtums, bin in den vergangenen Jahren beim Rosenmontagszug in Büttgen mitgezogen. In meiner Freizeit habe ich mich allerdings auf zahlreichen Schützenfesten als Sanitäter für die Malteser und später die Johanniter engagiert. Als Bürgermeister werde ich mir natürlich kein Schützenfest entgehen lassen. Und glauben Sie mir: Es wird für mich eine Freude sein, das ehrenamtliche Engagement der Schützen zu honorieren.

Das Gespräch führte Rolf Retzlaff.

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