Selikumer Weg: Zwölf Parteien sollen insgesamt 360.000 Euro für Straßenausbau zahlen Nach Jahrzehnten werden Anwohner zur Kasse gebeten

Neuss · „Dann muss ich mein Haus verkaufen ...!“ Die Anwohnerin des Selikumer Wegs ist stinksauer, hat Angst, ihr Zuhause zu verlieren – ebenso wie weitere Anwohner dieser rund 50 Jahre alten Straße: Die Stadt verlangt von den zwölf Parteien eine Beteiligung an den Erschließungskosten in Höhe von insgesamt rund 360.000 Euro – für einige Betroffene kaum machbar. In der Ratssitzung am 1. März soll die Ausbauplanung verabschiedet werden. Dies will die Fraktion Jetzt! verhindern. Die Stadt sieht die Sache ganz anders: „Durch die Abrechnung der Erschließungsbeiträge wird eine gleichmäßige Belastung aller Beitragspflichtigen im Sinne einer Beitragsgerechtigkeit erreicht“, so Stadtpressesprecher Marc Bohn.

Irene Schneider, Wolfgang Reinartz, Uwe Hertel, Reinhold Reipen, Michaela Grundhoff, Sigrid Ritters, Sarah Ritters, Günter Vreden (v.l.) und ihre Nachbarn auf dem Selikumer Weg haben zwischen zwei Bäumen ein Transparent aufgehängt: „Unsere Straße soll für 1/2 Million ausgebaut werden und wir sollen gefällt werden“ ist darauf zu lesen. Doch der Protest half nicht: In dieser Woche fielen die Bäume der Säge zum Opfer.

Irene Schneider, Wolfgang Reinartz, Uwe Hertel, Reinhold Reipen, Michaela Grundhoff, Sigrid Ritters, Sarah Ritters, Günter Vreden (v.l.) und ihre Nachbarn auf dem Selikumer Weg haben zwischen zwei Bäumen ein Transparent aufgehängt: „Unsere Straße soll für 1/2 Million ausgebaut werden und wir sollen gefällt werden“ ist darauf zu lesen. Doch der Protest half nicht: In dieser Woche fielen die Bäume der Säge zum Opfer.

Foto: Rolf Retzlaff

Bereits 2022 hatten die Anwohner einen „Bescheid über die Festsetzung und Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage Selikumer Weg“ erhalten. Für sie überraschend, hatten sie doch teilweise bereits vor Jahrzehnten hier ihr Häuschen gekauft, ohne überhaupt zu ahnen, dass irgendwann noch Erschließungskosten fällig sind. „Ich wohne seit 49 Jahren hier“, ärgert sich Günter Vreden über die „verspätete Rechnung“. Der Grund für die späte Inrechnungstellung: Der Erschließungsbeitrag kann von der Stadt erst eingefordert werden, wenn der Bau der Straße vollendet ist – und auf dem Selikumer Weg fehlte offenbar ein Wendehammer. Anfang Februar wurde im Bauausschuss einer Beschlussempfehlung der Stadtverwaltung für den Ausbau der Stichstraße einstimmig zugestimmt, wonach drei Bäume gefällt werden, eine Ausweichbucht angelegt und die Straßenbeleuchtung erneuert wird sowie Regenwasserkanäle verlegt werden. Gesamtkosten: rund 470.000 Euro, 360.000 Euro sollen die Anwohner zahlen (anteilig je nach Grundstücksgröße). Die Anwohner hatten vergebens versucht, per einstweiliger Verfügung das Fällen der drei Straßenbäume zu verhindern – am Mittwoch wurden die Bäume gefällt. Für Ingeborg Arndt (in BUND und für die Fraktion Jetzt! im Stadtrat aktiv), die von den Anwohnern kontaktiert wurde, „erschreckend“. Für sie steht fest: Die drei Bäume hätten laut Baumschutzsatzung nicht gefällt werden dürfen.“ Das sieht die Stadt anders: Beide Bäume hätten bereits starke Beschädigungen aufgewiesen und auf lange Sicht nicht erhalten werden können, so Bohn.

Einige Anwohner hatten bereits 2022 gegen die Zahlung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag geklagt. Mit Erfolg, jetzt werden sie wie alle anderen Anwohner des Selikumer Wegs zur Kasse gebeten. Dabei sind sie mit dem jetzigen Zustand ihrer Stichstraße zufrieden: „Wir wohnen hier im Paradies und brauchen keine Aufhübschung des Wegs. Der Bau eines Wendehammers ist in Ordnung, alles andere passiert gegen unseren Willen“, weiß Vreden. Und Irene Schneider ergänzt: „Der Ausbau ist total überflüssig!“ Sie übt Kritik an der Stadt: „Wir Bürger fühlen uns übergangen, man entscheidet über unsere Köpfe hinweg!“ So liegt der Redaktion eine E-Mail vom Oktober 2023 aus dem Bauverwaltungsamt vor, in der einem Anwohner des Selikumer Wegs nach seiner Anfrage mitgeteilt wurde, er könne sich „frühestens ab Februar 2024“ über den Planungsstand seiner Straße informieren – und am 6. Februar wurde der Ausbau im Bauausschuss beschlossen ... Diese Vorgehensweise bemängelt auch Ingeborg Arndt: „Laut Ratsbeschluss muss die Verwaltung die betroffenen Bürger bei Bauvorhaben informieren“, erklärt sie und verweist „entsetzt“ auf einen Passus in der Beschlussempfehlung der Stadt, in der es heißt: „Aufgrund nicht erkennbarer Handlungsoptionen sowie wegen der sehr engen Zeitschiene wurde während der Erstellung der Ausbauplanung auf eine Bürgerbeteiligung verzichtet.“ Die vom Rat beschlossene Verkehrsplanung orientiere sich eng am Bestand und beseitige lediglich funktionale Mängel, erläutert Bohn. Dabei gehe es vor allem um die sichere Abwicklung von Begegnungsverkehren bei gleichzeitiger Nutzung durch Radfahrer sowie die gesicherte Erreichbarkeit für Rettungs- und Versorgungsfahrzeuge, die heute teilweise über eine Privatfläche erfolge. Vor diesem Hintergrund habe die Fachverwaltung angeregt, von einer expliziten Beteiligung abzusehen. Dem sei der Rat gefolgt.

Arndt: „Das ist eine Frechheit!“ Sie fordert Gespräche mit den Anwohnern und so beantragt die Fraktion jetzt!, den Punkt „Selikumer Weg: Ausbau“ von der Tagesordnung des Rates am 1. Mai zu streichen. „Unseres Erachtens ist durch das Handeln der Verwaltung eine unklare Situation für die Anlieger entstanden. Wir fordern deswegen vor weiteren Schritten eine Versammlung für die Anlieger und Grundstückseigner durchzuführen.“

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