Ein Gastbeitrag von Bert Römgens, Jüdische Gemeinde Düsseldorf/Neuss „Jüdisches Leben gehört zu Neuss – und das soll so bleiben“

Jüdisches Leben ist ein fester Bestandteil der Neusser Stadtgesellschaft – und das soll auch so bleiben. Bert Römgens, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf/Neuss, freut sich über die Solidarität Neusser Bürger, aber er schlägt in seinem Gastbeitrag auch kritische Töne an:

 Bert Römgens, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf/Neuss: „Wir müssen als Partner an der Seite der Menschen in Herzliya stehen!“

Bert Römgens, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf/Neuss: „Wir müssen als Partner an der Seite der Menschen in Herzliya stehen!“

Foto: Jüdische Gemeinde Düsseldorf

Meine persönliche Sicht auf die Ereignisse des letzten Jahres :

Die Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht zu lange weggeschaut. Das Massaker vom 7. Oktober und die damit verbundenen Folgen treffen uns – auch in Neuss. Der Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten und das Recht auf Israels Selbstverteidigung verschärft auch die Situation von Jüdinnen und Juden in Deutschland, in Neuss.

Jüdisches Leben ist existenziell bedroht. Antisemitismus ist präsent und in allen Gesellschaftsschichten zu finden, und das macht ihn auch so gefährlich. Er ist nicht von heute auf morgen mit einem Schalter auszuschalten. Täglich erleben wir antisemitische Übergriffe, Schmierereien, körperliche Angriffe, das Verbrennen von Israel-Fahnen, all das im Jahre 2023.

Auch in Neuss nimmt der Antisemitismus zu, das müssen wir erkennen, um gegenzusteuern. In den letzten Wochen haben wir in aller Deutlichkeit gesehen, dass der gesamtgesellschaftliche Kampf gegen Antisemitismus und gegen jede Form der Diskriminierung eben nicht gereicht hat. Unser Einsatz war zu wenig. Es braucht mehr – viel mehr als nur Phrasen. Es braucht klare Pläne, klare Handlungen und vor allem ein hartes Durchgreifen des Rechtsstaats, wenn auf deutschen Straßen antisemitische und antiisraelische Hetze verbreitet wird. Nicht nur das, der Terror der Hamas auf Israel wird teilweise gefeiert und relativiert. Das Ermorden und Enthaupten von kleinen Kindern, das Vergewaltigen von Frauen und das Ermorden und Verschleppen von Shoah-Überlebenden wird auf deutschen Straßen gefeiert. Diese Brutalität der Terroristen darf niemals relativiert werden.

Antisemitismus ist nicht ausschließlich ein Angriff auf Jüdinnen und Juden, sondern auch auf unsere freiheitlichen und demokratischen Werte. Unsere tolerante und vielfältige Gesellschaft steht auf dem Spiel, wenn wir nicht klar, deutlich und vehement einlenken.

Wir befinden uns in einer Situation, in der Jüdinnen und Juden nahegelegt wird, jüdische Symbole lieber nicht in der Öffentlichkeit zu tragen und sich nicht als Jude oder Jüdin zu erkennen zu geben. Teilweise bringen Eltern ihre Kinder aus Sorge um ihre Sicherheit nicht mehr in den Kindergarten oder in die Grundschule. Und das alles passiert im Jahre 2023, in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen und das ist auch die Realität, der wir in Neuss gegenüberstehen. So mussten wir bei einer Gedenkaktion für die Geiseln wegen verbaler Angriffe eine Anzeige wegen Volksverhetzung stellen.

Nicht kommentiert haben wir die wenigen, aber dennoch vorhandenen Hinweise der klassischen Täter-Opfer-Umkehr.

Was uns in den dunklen Tagen und Wochen seit dem 7. Oktober aber Hoffnung gibt, ist die Solidarität aus Teilen der Stadtgesellschaft. Mehrere Solidaritätsaktionen wurden seitdem organisiert, um sich für Israel und ganz klar gegen Antisemitismus zu positionieren. Das gibt uns und das gibt auch mir ganz persönlich Hoffnung. Doch leider ist hier keinesfalls von einer breiten Masse an Menschen zu sprechen, denn die Mehrheit hält sich zurück. Zu wenige Menschen unserer Stadtgesellschaft erheben ihre Stimme und positionieren sich lautstark.

Dennoch bin ich sehr froh, dass einige hundert Neusserinnen und Neusser der Einladung zur Mahnwache, zur Gedenkaktion für die Geiseln und auch zum Chanukkalichterzünden auf dem Freithof gefolgt sind. Das gibt mir Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft.

Aber es gab auch sehr schöne Augenblicke, der israeltag und für mich persönlich sehr emotional, die (wenn auch digitale) Unterzeichnung der Partnerschaftsverträge zwischen Neuss und Herzliya. Als ich die Verträge im Juni in Herzliya abgeholt habe, habe ich den „Spirit“ dieser Partnerschaft gespürt. Und jetzt müssen wir als Partner an der Seite der Menschen in Herzliya stehen!

Jüdisches Leben ist ein fester Bestandteil in der Neusser Stadtgesellschaft, jüdisches Leben gehört zu Neuss – und das soll so bleiben.

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