CDU und FDP wollen Stichwahl bei Bürgermeisterwahl abschaffen Was Ratsfraktionen dazu sagen+++SPD, Grüne und Linke üben Kritik
Neuss · So mancher Lokalpolitiker hat sich bereits in ersten verbalen Liegestützen als Aufwärmübung für den Wahlkampf versucht: Im Herbst 2020 stehen Kommunal- und Bürgermeisterwahlen in NRW an. Die Landes-CDU und -FDP wollen hier die Stichwahl bei der Bürgermeisterwahl streichen.
Was halten die Neusser Politiker von diesem Vorhaben? Ein Stimmungsbild.
Die SPD spricht sich eindeutig gegen die Abschaffung der Stichwahl aus, „weil sich diese bewährt hat“, so der
SPD-Fraktionsvorsitzende Arno
Jansen, „darum ist sie 2011 von SPD, Grünen, FDP, Linke wieder eingeführt worden, nachdem sie kurzzeitig abgeschafft war. Warum die FDP, obwohl sie 2011 für die Wiedereinführung der Stichwahl stimmte, nun für deren Abschaffung ist, versteht niemand mehr.“ Jansen befürchtet, dass ohne Stichwahl Kandidaten mit nur sehr wenigen Stimmen ins Amt kommen könnten. Er führt zwei Beispiele an: „In Wülfrath wurde 2009 die Bürgermeisterin mit nur 27 Prozent und in Monheim der Bürgermeister mit 30 Prozent gewählt. Das entwertet diese Ämter.“ Darum hätten alle Bundesländer ein Stichwahlsystem und NRW solle hier keinen Sonderweg gehen. „Auch die CDU-Parteivorsitzende wurde zuletzt in einer Stichwahl gewählt. Warum ist die CDU trotzdem für die Abschaffung?“, fragt Jansen und liefert gleich die Antwort mit: „Weil sie bei Stichwahlen oft verliert. Bei mehr als 60 Prozent der letzten Stichwahlen hat die CDU diese verloren.“
Auch
Roland Sperling, Fraktionsvorsitzender Die Linke
, erinnert an 2007, als ohne Stichwahl Bürgermeister ins Amt kamen, die weniger als 30 Prozent der Stimmen hatten: „Da kann man schon mal an der demokratischen Legitimation zweifeln.“ Aber die bloße Beibehaltung der Stichwahl ändere an diesem Problem grundsätzlich nichts. Sperling: „Die SPD meint, durch den Wegfall der Stichwahl benachteiligt zu sein, weil sie in der ersten Wahl oft nur auf dem zweiten Platz landet, aber darauf hofft, im zweiten Wahlgang zusätzliche Stimmen zu bekommen. Das Fatale ist: Die SPD wird in vielen Fällen gar nicht auf Platz 2 stehen. Sondern weiter hinten. Man stelle sich also vor, dass bei einer Bürgermeisterwahl der erstplatzierte Kandidat der CDU 30 Prozent bekommt, der Zweitplatzierte ist von der AfD mit 15 Prozent.“ Auch bei einer Stichwahl komme also so oder so ein Kandidat durch, der eigentlich von der großen Mehrheit nicht gewollt sei. Und weiter: „Wie sollen sich Wähler in der Stichwahl verhalten, die eigentlich einen Bürgermeister der SPD, der Linken oder der Grünen wollten? Diese Wähler werden sich bei einer solchen Konstellation wahrscheinlich mehrheitlich an der Stichwahl gar nicht beteiligen, was dann im Ergebnis erst recht dazu führt, dass der Sieger der Stichwahl nur von einer relativ kleinen Minderheit gewählt wird. Das ist die Folge des Schrumpfens der ehemaligen Volksparteien.“ Sperling stellt zur Diskussion, den Wählern mehrere Stimmen zu geben: „Zum Beispiel könnte es zwei Stimmen geben, einmal für den Favoriten und einmal für einen der anderen Kandidaten, der einem als Ersatzlösung auch noch recht wäre. In die Stichwahl sollte dann auch derjenige Kandidat kommen, der die meisten Ersatzstimmen bekommen hat.“
„Die Stichwahl soll möglichst geräuschlos abgeschafft werden, ohne einen eigenen Gesetzentwurf”, ärgert sich der
Fraktionsvorsitzende der Grünen Michael Klinkicht.
Begründet wird das Ganze mit der Behauptung, die Kosten für die Stichwahlen seien angesichts der sinkenden Wahlbeteiligung zu hoch. Dieses Argument empört die
Vorstandssprecherin Susanne Benary:
„Soll Demokratieabbau jetzt etwa die Lösung für Wahlmüdigkeit sein und demokratische Legitimation als ein reiner Kostenfaktor angesehen werden?“ Die Grünen fordern, dass die Stichwahl bleiben muss, denn ihrer Ansicht nach sollte ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin schon 50 Prozent der Wähler hinter sich vereinen.
Die
CDU-Fraktionsvorsitzende Helga Koenemann
ist ganz anderer Meinung: „Die Stichwahl abzuschaffen, ist die richtige Entscheidung. Die Akzeptanz der Stichwahl bei den Bürgerinnen und Bürgern ist gering, was sich vor allem in einer oftmals niedrigeren Wahlbeteiligung im Vergleich zum ersten Wahlgang zeigt.“ Dem sei Rechnung zu tragen. Die Entscheidung für eine Direktwahl in einem Wahlgang sei bürgernah und stärke damit unser demokratisches System.
Der
FDP-Stadtverbandsvorsitzende Michael Fielenbach
und der
FDP-Fraktionsvorsitzende Manfred Bodewig
geben sich in ihrer Stellungnahme eher verhalten: „Die geplante Abschaffung der Stichwahlen bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen bei der Kommunalwahl 2020 ist eine politische Entscheidung der Landesregierung von CDU und FDP. Wir als FDP Neuss werden diese Entscheidung akzeptieren und in unseren Strategien mit bedenken.“ Eine grundsätzliche Benachteiligung für die anstehenden Wahlen sehen die beiden nicht. Diese Entscheidung werde keine Auswirkungen auf ihre Planungen bezüglich der kommenden Wahl haben. „Das heißt, losgelöst hiervon werden wir zu gegebener Zeit entscheiden, wie sich die FDP Neuss zur Bürgermeisterwahl aufstellt.“
Rolf Retzlaff