„Das ist nicht nur teuer, sondern schadet der Umwelt!“ Für jede Packung Kaugummi ein Beleg: Ladenbesitzer leiden unter Bonpflicht
Neuss · Wenn Anna-Maria Bonnekessen in ihrem Kiosk eine Packung Kaugummis verkauft, muss sie einen Bon ausdrucken – auch wenn der Kunde ihn gar nicht will. Über dem Tresen hängt eine Papiertüte, in der die unerwünschten Belege landen. „Wir haben einen großen Karton im Hinterzimmer, der ist schon voll“, erzählt Bonnekessen. Warum sie sich ungerecht behandelt fühlt und worauf sie jetzt hofft, erzählte sie dem Stadt-Kurier und Dennis Volkeri von der CDU Neuss.
Die siebte Kassenbon-Rolle seit Einführung der sogenannten Belegausgabepflicht, kurz Bonpflicht genannt, mussten Anna-Maria Bonnekessen und Tochter und Mitarbeiterin Karin Luck bereits anbrechen. Völlig unverhältnismäßig, finden die Beiden. Bonnekessen führt einen Kiosk mit Lotto-Toto-Stelle auf der Rheydter Straße. „Wenn eine Gruppe Kinder reinkommt und jeder sich von seinem Taschengeld eine Kleinigkeit für ein paar Cent kauft, müssen wir einen Bon drucken. Das ist auf Dauer nicht nur teuer, sondern schadet der Umwelt“, meint Luck.
Sie erzählt: „50 Rollen kosten uns 52,50 Euro. Auf Dauer wird der Mehrverbrauch ganz schön ins Geld gehen.“ Und das obwohl sie schon längst eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung (TSE) in ihrem Kassensystem haben, das seit 1. Januar ebenfalls Pflicht ist. Mit diesem System ist es möglich, die Bons nachzuhalten, später abzurufen und dem Finanzamt zu übermitteln.
Außerdem gibt es an der Kiosk-Kasse ein Display, auf dem die Kunden nicht nur die genaue Aufschlüsselung der Summe verfolgen können, sondern auch die Registrierungsnummer angezeigt bekommen. „Das reicht scheinbar nicht aus“, ärgern sich die Frauen. In ihrer Not haben sie sich an die Neusser Politik gewandt. Dennis Volkeri (CDU) folgte ihrer Einladung und sah sich das Kassensystem vor Ort an.
„Das ist ein klassisches Beispiel für Regelungen und Gesetze aus Berlin, die völlig realitätsfern sind. Es kann nicht sein, dass der Einzelhandel darunter leiden muss. Geschäfte wie das Lotto-Lädchen oder Bäckereien sind nicht nur hier an der Rheydter Straße Einkaufsmöglichkeit und Treffpunkt zugleich. Solche Gesetze sind nicht förderlich“, ärgert er sich.
Bonnekessen und Luck haben beim Finanzamt Neuss bereits einen Antrag auf Befreiung von der Belegausgabepflicht gestellt. Das Amt muss jetzt den Einzelfall prüfen. Bonnekessen sieht sich benachteiligt: „Für die meisten unserer Waren haben wir Festpreise, zum Beispiel bei Tabak und Zeitschriften. Wir können unsere Mehrkosten also nicht auf die Kunden umlegen.“ Sie könnte beispielsweise den Preis von Schulheften und anderen Schreibutensilien, die sie anbietet, erhöhen. „Das möchte ich aber nicht. Für Schulbedarf müssen die Familien ohnehin schon so viel ausgeben...“
Andere von der Bonpflicht betroffene Unternehmen hätten da mehr Spielraum. Bonnekessen wünscht sich eine faire Lösung.Sie und Luck erhoffen sich jetzt vor allem Hilfe von der Politik. Christdemokrat Volkeri: „Die Mehrbelastung liegt auch bei den Finanzämtern, die jeden Antrag individuell prüfen müssen. Als Vorbild könnte vielleicht Frankreich dienen – da wurde das Gesetz vor knapp zwei Wochen gelockert. Ab September gilt die Bonpflicht bei Beträgen unter 10 Euro nur auf Nachfrage des Kunden.“
Auf Nachfrage heißt es aus dem Ministerium der Finanzen dazu: „Eine Befreiung von der Belegausgabepflicht kommt in Betracht, wenn nachweislich eine sachliche oder persönliche Härte für den einzelnen Steuerpflichtigen besteht. Die Frage, ob eine solche Härte vorliegt, ist einzelfallabhängig und von den Finanzbehörden zu prüfen. Ausnahmen für bestimmte Branchen gibt es nicht.“
Ein Beispiel könne zum Beispiel ein Hochwasserschaden sein, durch den das Kassensystem nicht mehr verwendet werden könne. Bis zur Neuanschaffung könne dann die Ausnahmeregelung greifen, so das Ministerium. „Die mit der Belegausgabepflicht entstehenden Kosten oder bloße Erschwerungen des Betriebsablaufs stellen für sich allein keine sachliche Härte dar“, heißt es weiter.
Das Finanzministerium erklärt: „Dem Unternehmer steht es gemäß § 6 Satz 3 Kassensicherungsverordnung frei, dem Kunden den Beleg elektronisch in einem standardisierten Datenformat zur Verfügung zu stellen, sofern dieser mit der elektronischen Übermittlung einverstanden ist. Hierzu werden von den Kassenherstellern und anderen Anbietern derzeit technische Lösungen entwickelt, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Belastung der Unternehmen mittelfristig aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung durch die verstärkte Ausgabe elektronischer Belege abnehmen wird.“
Auch Luck und Bonnekessen interessieren sich für eine solche Lösung und bringen QR-Codes auf dem Kassendisplay ins Gespräch. Zunächst einmal warten sie aber die Entscheidung des Finanzamtes ab. Das Finanzministerium weist darauf hin, dass es in Deutschland keine allgemeine Registrierkassenpflicht gebe. „Von der Belegausgabepflicht sind nur elektronische Aufzeichnungssysteme, also elektronische Registrierkassen und computergestützte Kassensysteme betroffen. Für sogenannte offene Ladenkassen (manuelle Einzelaufzeichnungen ohne Einsatz technischer Hilfsmittel) gilt die Belegausgabepflicht nicht.
Damit sind insbesondere kleinere inhabergeführte Betriebe ohne Fremdpersonal oder zum Beispiel Betreiber von Marktständen, die häufig eine offene Ladenkasse nutzen, auch künftig nicht verpflichtet, Belege auszugeben.“ Darüber ärgern sich die beiden Neusserinnen besonders: „2016 wurden Ladeninhaber dazu aufgerufen, sich auf die Bonausgabepflicht vorzubereiten. Das haben wir getan und dafür werden wir jetzt bestraft?“
Über kurz oder lang wird es für viele kleine Betriebe auf die QR-Codelösung hinauslaufen – müssen sie halt „nur“ (schon wieder) neue Kassen kaufen...