Zu teuer! Friedhof entgeht 17.000 Euro pro Jahr Geheimplan: Verstorbene Obdachlose sollen billiger beerdigt werden

Exklusiv | Neuss · Empörung in Neuss: Die Stadtverwaltung um Bürgermeister Reiner Breuer wollte verstorbene Obdachlose nicht mehr in die Trauerkapelle lassen und ihnen den Zugang zur Leichenhalle sperren. Nach enormen Protesten, die gestern die Recherchen des Stadt-Kuriers ausgelöst hatten, stoppte Breuer zerknirscht das Vorhaben.

 „Diese Idee ist eine Schande“, sagt Ex-Novesia und Sozialpolitikerin Waltraud Beyen. Weil verstorbene Obdachlose und ihre Angehörigen die „Miete“ für Leichenhalle und Kapelle nicht zahlen können, sollten sie direkt vom Kühlhaus ins Grab gelegt werden. „Ein unmöglicher Antrag und gegen jegliche christliche Anteilnahme“, findet FDP-Fraktionschef Manfred Bodewig. Die Kirchen wundern sich, warum sie vom Stadt-Kurier und nicht vom Bürgermeister informiert werden.

„Diese Idee ist eine Schande“, sagt Ex-Novesia und Sozialpolitikerin Waltraud Beyen. Weil verstorbene Obdachlose und ihre Angehörigen die „Miete“ für Leichenhalle und Kapelle nicht zahlen können, sollten sie direkt vom Kühlhaus ins Grab gelegt werden. „Ein unmöglicher Antrag und gegen jegliche christliche Anteilnahme“, findet FDP-Fraktionschef Manfred Bodewig. Die Kirchen wundern sich, warum sie vom Stadt-Kurier und nicht vom Bürgermeister informiert werden.

Foto: Foto: Frank Möll

Für Obdachlose und arme Menschen, die keine Angehörigen mehr haben, muss die Stadt Neuss die Beerdigung ausrichten.

Um Geld zu sparen, wollte die Stadtverwaltung die Leichenhalle und die Friedhofskapelle für verstorbene Obdachlose sperren. Pro Jahr betrifft das etwa 60 Personen, die dann direkt vom Kühlhaus im Zuge der "Gefahrenabwehr (Seuchen)" ins Genossenschaftsgrab gebracht werden. "Dem Betrieb entgehen Gebühren von 60 mal 284 Euro. Also 17.000 Euro", teilt der Bürgermeister mit.

Verwaltungschef Reiner Breuer und sein Umweltdezernent wissen, dass sie sich mit dieser Entscheidung unbeliebt machen. "Nicht auszuschließen sind Unmutsbekundungen seitens der Kirchen, des beauftragten Bestattungsunternehmens oder aus der Bevölkerung. Dem kann mit dem Argument begegnet werden, dass eine Ungleichbehandlung beseitigt wird, weil Nutzungsberechtigte eine Gebühr für die Inanspruchnahme der Trauerhalle zahlen müssen", schreiben sie.

Und da haben Reiner Breuer und sein Umweltdezernent völlig recht. Als der Stadt-Kurier sein Geheim-Papier gestern mit den Kirchen, Bestattern und vielen Ratspolitikern diskutierte, nahm der evangelische Pfarrer Sebastian Appelfeller den Telefonhörer in die Hand und versuchte, die entsprechenden Entscheidungsträger im Rathaus zu erreichen.

"Wir wollen bei der alten Regelung bleiben. Unsere Gemeinden sorgen dafür, dass bei der Beerdigung jemand dabei ist. Und wenn nur ich es bin. Es ist doch gut, dass die Gesellschaft jedem Toten ein würdiges Begräbnis gibt. Es wird doch gar nicht viel Geld gespart. Die Sargträger sind ja sowieso da", so Pastor Appelfeller. Der Sprecher aller evangelischen Gemeinden in Neuss will in sachlichen Gesprächen, die Stadtverwaltung überzeugen. Das braucht er gar nicht, denn die Mehrheit im Rat wollte erneut das Vorhaben des Bürgermeisters zerschlagen. CDU-Fraktionschefin Helga Koenemann sagt dem Stadt-Kurier: "Wir werden über den Sozialausschuss eine Lösung finden. Wenn wir als Stadt dieses Geld für eine würdige Beerdigung nicht mehr aufbringen können, dann läuft hier etwas falsch. Den Wert einer Gesellschaft erkennen wir daran, wie sie mit ihren Toten umgeht." Helga Koenemann kann vieles im Rathaus nicht mehr nachvollziehen und verzichtet auf die Teilnahme der Ältestenratssitzung. Sie wolle, dass wichtige Themen nicht in geheimen Hinterzimmern, sondern öffentlich beraten und diskutiert werden und versteht nicht, warum gerade dieses Thema als "geheime Kommandosache" auf den Weg gebracht wurde. "Reiner Breuer vertraut offenbar niemanden, macht alles selbst. Alles muss über seinen Schreibtisch laufen", versteht Koenemann ihren jungen Kollegen nicht. Auch die Grünen werden wohl mit dem Koalitionspartner CDU stimmen, sollte die Beratungsdrucksache jemals wieder auftauchen, denn Bürgermeister Reiner Breuer hatte gestern kurz vor Redaktionsschluss noch über seinen Sprecher Michael Kloppenburg verbreiten lassen, dass er sein Geheim-Papier "zurückzieht".

Fraktionschef Michael Klinkicht ist erleichtert, schließlich stellt ja seine Partei den zuständigen Dezernenten. Der Fraktionschef der Grünen zum Stadt-Kurier: "Wenn kein Angehöriger da ist, kann man ja darüber diskutieren. Aber ansonsten ist so was doch pietätlos." CDU-Parteichef Dr. Jörg Geerlings pflichtet ihm und seiner Fraktionschefin bei: "Die Würde muss gewahrt bleiben. Dazu gehört auch eine angemessene Trauerfeier." Reiner Breuer hat´s verstanden.

Kommentar
Das kennen wir alle: Oftmals überlegen wir nicht richtig, und dann hauen wir einen "Schnellschuss" raus, schreiben nachts um halb eins 'ne unüberlegte Mail, weil wir Wut im Bauch haben oder verletzen jemanden, obwohl wir es gar nicht wollen. Wir versprechen etwas, was wir nicht einhalten. Menschen sind wir, nicht Götter.
Bürgermeister Reiner Breuer hat mit seinem "Geheim-Papier" zum Nachteil der Obdachlosen einen Fehler gemacht und ist stark genug, diesen Fehler einzusehen. Gestern stoppte er sein Vorhaben. Respekt!Frank Möll

(Kurier-Verlag)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort