Tod im KZ: Die Nazis verschleppten ihre Opfer mitten aus der Neusser City

Neuss · Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland die Synagogen. Der 9. November ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte in Brand setzten. Auch in Neuss. Politische Gegner von heute reinigten gemeinsam am 9. November 2015 die vielen Stolpersteine in Neuss: Constanze Kriete (SPD) und Thomas Kaumanns (CDU).

 SPD-Ratsfrau Constanze Kriete (rechts) reinigte am 9. November 2014 gemeinsam mit Stadt-Kurier-Reporter Frank Möll mit Metallreiniger Stolpersteine gegen das Vergessen. Ein Jahr später beteiligten sich viele an dieser Aktion.

SPD-Ratsfrau Constanze Kriete (rechts) reinigte am 9. November 2014 gemeinsam mit Stadt-Kurier-Reporter Frank Möll mit Metallreiniger Stolpersteine gegen das Vergessen. Ein Jahr später beteiligten sich viele an dieser Aktion.

Foto: Thomas Kaumanns

Der 9. November 1938. Es ist der Tag, an dem tausende Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte der Menschheit.

Die verharmlosende Bezeichnung "Reichskristallnacht", deren Herkunft nicht definitiv geklärt ist, bildete und erhielt sich für den reichsweiten Pogrom gegen die Juden im Deutschen Reich, der am 9. November 1938 ihren ersten traurigen Höhepunkt fand.

"Kristallnacht" bezieht sich auf die überall verstreuten Glasscherben vor den zerstörten Wohnungen, Läden und Büros, Synagogen und öffentlichen jüdischen Einrichtungen. Der Begriff Reichspogromnacht hat sich erst in jüngster Zeit verbreitet und im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt, um das belastete Wort "Reichskristallnacht" zu ersetzen.

Der Kölner Künstler Gunter Demnig erinnert seit Jahren an Opfer des Nationalsozialismus, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg einlässt. Die Gedenktafeln haben eine Kantenlänge von etwa zehn Zentimeter. Sie werden "Stolpersteine" genannt. Menschen sollen sozusagen über die Tatsache stolpern, dass die schweigende Masse tatenlos zugesehen hat, wie die Opfer des Nationalsozialismus zum Beispiel ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt wurden.

Doch die Neusser Steine gammeln vor sich hin, sind voller Dreck und Moos, glänzen längst nicht mehr. Niemand scheint sich darum zu kümmern.

SPD-Ratsfrau Constanze Kriete und CDU-Ratsherr Thomas Kaumanns reinigten sie nun gemeinsam am Montag. Im vergangenen Jahr hatte Constanze Kriete die Idee: Eine Gemeinschaftsaktion der linken Politikerin mit jenem Journalisten, mit dem sie ihre härtesten Auseinandersetzungen erlebte. Doch diese Aktion war beiden wichtig, so dass sie am 9. November 2014 zusammen arbeiteten. In diesem Jahr hatte sich Thomas Kaumanns und die Schüler der Janusz Korczak-Gesamtschule Neuss angeschlossen. Janusz Korczak selbst fand seinen Tod in einem KZ.

"Durch die Erinnerung an ganz konkrete Schicksale bleibt in Erinnerung, was damals geschehen ist. Unsere Putzaktion soll ein kleiner Beitrag dazu sein, diese Erinnerung wach zu halten — getragen von der Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschieht", sagt Thomas Kaumanns.

Die Liste der Neusser Juden und der anderen Opfer des Nationalsozialismus, die verschleppt und bis in den grausamen Tod gequält wurden, ist lang. Die Stolpersteine erinnern an diese Opfer, die bekannt wurden:

Hermann Stein jr. (Pferdehandlung), 12.02.1881 in Neuss, deportiert nach Lodz am 27.10.1941, ermordet am 07.05.1942

Sophie Stein geb. Regensteiner, 25.12.1891 in Nördlingen, deportiert 1941, gestorben in Lodz

Lore Stein 31.05.1922 in Düsseldorf, deportiert 1941, + in Lodz

Milli Stein 08.02.1927 in Düsseldorf, deportiert 1941, + in Lodz

Bernhard Stein 06.03.1890 in Neuss, deportiert 27.10.1941, + in Lodz

Dora Stein, geb. Geisel 04.05.1891 in Rheinbach, deportiert 1941, + in Lodz

Theodor Regensberg 16.03.1881 in Hofgeismar, deportiert 11.12.1941 nach Riga, umgekommen in Riga

Helena Regensberg, geb. Hertz 28.08.1882 in Worms, umgekommen in Riga

Herta Regensberg 02.07.1926 in Heiligenhaus, umgekommen in Riga

Albert Joseph 1862, deportiert: 22.07.1942 nach Theresienstadt, ermordet am 27.09.1942

Julie Joseph 1866, deportiert: 22.07.1942 nach Theresienstadt, † 9.01.1943

Arthur Mansbach 1898, deportiert 1941, † Riga

Johanna Mansbach geb. Hirtz 1890, deportiert 1941, † Riga

Fritz Mansbach 1826, deportiert 1941 nach Riga, † KZ Buchenwald

Ernst Mansbach 1937, deportiert 1941, † Stutthof

Anna Mansbach, geb. Marx 1865, deportiert 1942, † Izbica

Hermann Stein 1877, deportiert 1941, ermordet in Lodz

Sara Stein, geb. Rosenberger 1885, deportiert 1941, ermordet in Lodz

Josef Cohnen 1873, inhaftiert 15.07.1938 in Düsseldorf, † 18.07.1938

Ernst Cohnen 1904, Flucht nach Holland 1934, deportiert 1943 nach Sobibor, ermordet 23.07.1943

Franz Sistemich 1901, ermordet am 22.02.1945 im KZ Flossenbürg

Helene Steffens 1916, eingewiesen in die Klink Süchteln 1938, ermordet in der "Heilanstalt" Hademar

Hans Funger 1891, im Widerstand, verhaftet 15.2.1937, Zuchthaus Celle, brutal und unmenschlich hingerichtet 11.4.1945

Max Salm 1887, deportiert 1942, Theresienstadt, ermordet 6.6.1943

Julie Salm geb. Judenberg 1888, deportiert 1942, Auschwitz, ermordet 1944

Hermann Milchtajch 1892, ermordet: 1944 in Auschwitz

Selma Milchtajch, geb. Cahn 1900, ermordet: 1944 in Auschwitz

Günther Milchtajch 1928, ermordet: 1944 in Auschwitz

Isaak Gottschalk 1868, ermordet: 29.09.1942 in Maly Trostinec

Hermine Gottschalk 1866, ermordet 1942 in Maly Trostinec

Matha Gottschalk 1911, ermordet: in Riga

Sally Vasen 1881, Flucht 1939, Belgien, deportiert, Gurs, ermordet 16.1.1941

Paula Vasen, deportiert 1941, ermordet in Lodz

Paula Stein, geb. Winter 1884, Flucht nach Holland 1938,deportiert 1943 nach Auschwitz, ermordet 08.04.1944

Irma Stein 1908, Flucht nach Holland 1938, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz

Fritz Stein 1909, verhaftet 1935, KZ Esterwegen, Flucht nach Holland 1938, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz.

Aaron Albert Heumann 27.03.1872 in Eschweiler, misshandelt, getötet 1940 in Neuss

Erich Heumann 05.08.1905 in Köln, Flucht nach Holland 1935, deportiert 1943, ermordet 1945 in Auschwitz.

(Kurier-Verlag)
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