Kaarster Citymanagement „Was gestern noch Vision war, scheint heute unmöglich und ist morgen überholt“
Kaarst · Zur Halbzeit des Projektes „Kaarster Citymanagement“ wollte unsere Redaktion wissen: „Wie läuft’s eigentlich?“ Teamleiterin Ute Marx von „Stadt + Handel“ gibt im Interview Auskunft zu Erfolgen und Herausforderungen.
Wo liegen die größten Probleme, wo die größten Stärken der Innenstadt?
Wir führen dieses Interview, während ich mich auf einer Vortragsreise durch ganz Deutschland befinde. Sie trägt den Titel: „Stadtmacher statt Schlusslicht!“ Nicht nur in Kaarst treibt die Menschen die Frage um, was wird aus unseren Innenstädten, unseren Stadtteilzentren nach Amazon und Co. und nach Corona? Wir vom Büro Stadt + Handel glauben an unsere Innenstädte! An ihren Wert als sozialen Treffpunkt, als den sogenannten „dritten Ort“ und wir sind nicht allein mit diesem Glauben. Die Innenstadt zeichnet sich durch eine Vielzahl inhabergeführter Geschäfte aus und weist kaum Leerstände auf; das ist schön, aber ist die Wertigkeit der Angebote das, was wir anbieten wollen? Ist die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums so, wie wir uns das im „Wohnzimmer Innenstadt“ vorstellen? Womöglich nicht.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Innenstadt-Werbegemeinschaft ISG?
Sehr gut. Ich selbst war schon bei der ISG zu Gast, um über zukünftige Maßnahmen zu sprechen – vor der Pandemie! Grundsätzlich bin ich ja nicht in Kaarst vor Ort, das machen Anne Kraft als Projektleiterin und Nils Kleemann und Roman Waizenegger als Citymanager.
Ist die Kaarster Innenstadt auf einem guten Weg?
Ja, weil alle es wollen! Klar gibt es unterschiedliche Auffassungen über die genaue Richtung oder vielleicht auch die Zeit, in der das Ziel erreicht werden kann. Wenn es denn überhaupt ein so konkretes gibt und wir uns nicht ständig im Wandel der Zeiten anpassen werden müssen. Aber die Bereitschaft zu haben, sich mit dem Wandel auseinanderzusetzen, ist der Anfang für den guten Weg.
Gibt es erkennbare Konflikte und – daraus resultierend – Lösungsansätze?
Wenn man bei erkennbaren Konflikten immer schon daraus resultierenden Lösungsansätze erkennen könnte, wäre diese Welt ein besserer Ort. Natürlich gibt es Konflikte: Wirtschaftliche Erwartungen, rechtliche Vorgaben, politische Strömungen, all das muss irgendwie in Einklang gebracht werden, auch in Kaarst. Wir sind mutig! Sollte uns Normalität oder was immer wir zukünftig damit verbinden, wieder geschenkt werden, werden wir alles daran setzen, aus Problemen Herausforderungen zu machen!
Wie lauten die Empfehlungen von „Stadt + Handel“, welcher Akteur sollte wann und wie handeln?
Auf manche Fragen gibt es keine präzisen Antworten. Es steht uns als HelferInnen und Berater nicht an, den Akteur vorzuschreiben, wann und wie sie handeln sollen. Unser Wunsch ist es, dass jeder und jede nach seiner und ihrer Kraft, ohne den eigenen Vorteil über Gebühr zu strapazierten, für den Fortbestand der Innenstadt streben und agieren möge.
Bis 2021 sollen die Manager die Werbegemeinschaft unterstützen, die Innenstadt zu beleben. Wie weit ist dieses Netzwerk bis jetzt gediehen?
Bei der kleinen Aufzählung mag schon erkannt werden, dass ein großer Anspruch an ein nicht 24/7 agierendes Citymanagement gestellt wird. Corona hat leider das Thema des persönlichen Treffens konterkariert, aber wir sind dennoch mit den Handelnden in einem intensiven Austausch. Wir sind da auf einem guten Weg und den werden wir konsequent weiter gehen!
Das Citymanagement ist eine Maßnahme aus dem integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzept Kaarst IEHK, in dem die Innenstadtentwicklung bis zum Jahr 2024 vorgezeichnet ist. Wie realistisch erscheint die Vision für 2024?
Ich liebe Visionen, ohne die ist die Welt so eng. Aber was gestern noch Vision war, scheint heute unmöglich und ist morgen überholt. Ein Einzelhandelskonzept hielt früher zehn Jahren – heute ist es in drei Jahren überholt. Die Taktung wird schneller. Bieten Sie Ihren Kindern doch mal Ihr zwei Jahre altes Smartphone an. Sie werden fragen, ob sie auf dem Schulhof als Looser abgestempelt werden sollen. Ein IEHK ist aber selten unrealistisch und so sehe ich das auch bei der Frage der Umsetzbarkeit. Durch die Benennung konkreter Leitideen wird ein Bild von der zukünftigen Innenstadt gezeichnet, das allen aktiv Beteiligten hilft, sich mit konkreten Projektideen oder Überlegungen einzubringen. Das ist ein großes Plus des Kaarster Konzeptes. Und es stößt einen notwendigen Umdenkprozess an, die Innenstadt nicht als Konsumrennbahn, sondern als Treffpunkt zu entwickeln.
Wie lautet die Gesamtbilanz der ersten Halbzeit?
Wir sind zufrieden! Natürlich hat die Pandemie uns auch kalt erwischt, aber ich glaube, das Team für Kaarst – und damit meine ich die Citymanagerin und die Citymanager ebenso wie die AkteurInnen, mit denen wir arbeiten – hat den Shutdown gut gemeistert. Jetzt wird es darum gehen, die Langzeitfolgen zu betrachten. Wir glauben, dass erst im kommenden Jahr zu sehen sein wird, welche Betriebe die Krise überleben.
Das Gespräch führte Thomas Broich.