So belastet die Coronakrise die Psyche von Kindern „Ich verteidige diese Familie gegen das Virus, wenn es sein muss mit Schild und Schwert!“

Neuss · Zwar bringen die aktuellen Corona-Lockerungen etwas mehr Normalität, doch die langfristigen psychischen Folgen – auch gespeist aus Zukunftsängsten und ähnlichem sind noch lange nicht abzusehen. Auf Kinder wirkt sich die Situation noch einmal anders aus. So erreichte uns in der Redaktion der Brief eines besorgten Vaters.

 Kindertränen belasten Eltern sehr, doch die meisten Kinder können viele Krisen langfristig gut verarbeiten.

Kindertränen belasten Eltern sehr, doch die meisten Kinder können viele Krisen langfristig gut verarbeiten.

Foto: Myriam Zilles/pixabay

Darin heißt es unter anderem: „Die Psyche meiner älteren Tochter, neun Jahre, hat durch die Auswirkungen der Corona-Krise sehr gelitten. Sie befindet sich seit Wochen aufgrund daraus resultierender psychosomatischer Symptome – wie Panikattacken und Depressionsschüben – in therapeutischer Behandlung. Zusätzlich haben sich bei ihr aufgrund der Kontaktsperre Verlustängste aufgebaut und manifestiert. Durch die Verordnungen (kein Spielplatzbesuch/keine Schule/keine Besuche von Freunden/Abstand zu anderen Menschen/Abschottung durch das Tragen von Schutzmasken) kamen Fragen auf wie: „werde ich meine beste Freundin wiedersehen?“ oder „wird alles wieder so, wie es einmal war?“ (...)

Wir geben wirklich Alles, aber der kindlichen Angst vor einer Erkrankung und dem möglichen Tod können wir auch durch unsere noch so unterstützende, liebevollen Art kaum noch wirkungsvoll begegnen. „Was ist wenn ich einschlafe und nicht mehr aufwache, weil ich vielleicht krank bin?“; „Was ist, wenn ich durch das Virus ohnmächtig werde und meine Erinnerungen verliere?“; „Was ist, wenn ich mich an Mama und Dich nicht mehr erinnere.“ Selbst ein Gang zum Briefkasten wird zur Aufgabe: „Papa, wohin gehst du?“; „Bitte bleib hier, du musst doch jetzt nicht zum Briefkasten.“ Wir gehen da durch, aber es bricht einem das Herz.

Obwohl wir als Mutter und Vater alles, was möglich ist und hilft, tun und den momentanen Alltag weiterhin positiv und harmonisch zu gestalten, wissen wir uns langsam am Ende unserer Kräfte. Wir sorgen natürlich nach wie vor für ein höchstmögliches Maß an Ablenkung und Beschäftigung. Und natürlich arbeiten wir Hand in Hand mit dem Kinderpsychologen, soweit dies möglich ist: Einen betreffenden Termin zu bekommen, ist nämlich eine echte Herausforderung. (...) Natürlich müssen Mitmenschen geschützt werden, vor allem die aus den Risikogruppen. Natürlich muss die Wirtschaft aufrecht erhalten und gestützt werden, um so gut wie alle in Lohn und Brot zu halten. Dennoch kann es nicht sein, dass die Zukunft unserer Gesellschaft – nämlich unseren Kinder – dabei vernachlässigt wird. Denn das kann auch ein funktionierender Haushalt, selbst wenn er zur Wirtschaftsschicht Mittelstand gehört, auf Dauer nicht auffangen.

Wir trauen uns kaum vorzustellen, wie es Familien geht, deren Situation zusätzlich von wirtschaftlicher Existenz bedroht ist oder deren Wohnsituation prekärer ist. (...) Es muss nachhaltige Konzepte geben, die Kindern und Eltern helfen. Am Anfang der Krise stand die berechtigte Angst vor der Überlastung des Gesundheitssystems. Aber wenn wir jetzt nicht die Psyche unserer Kinder schützen, wird das Gesundheitssystem durch die psychischen Folgen zusammenbrechen.“

Diplompsychologe Kurt Garbe von der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulanz der Neusser St. Augustinus-Kliniken nimmt zu dieser Zuschrift Stellung und kann ein Stück weit Entwarnung geben. Ihm sei im Rhein-Kreis Neuss kein expliziter Fall von nachhaltiger Corona-Traumatisierung speziell bei Kindern bekannt. Garbe: „Man darf die Fähigkeit zur Resilienz bei Kindern nicht unterschätzen. Sie kommen wesentlich besser mit Extremsituationen zurecht und können sie schneller verarbeiten als Erwachsene und danach wieder zur Tagesordnung übergehen. Es ist aber wichtig, dass sie in den Eltern gute Vorbilder finden. Kinder bekommen am meisten durch Modelllernen mit auf den Weg. Hamsterkäufe und andere Panikreaktionen senden zum Beispiel kein gutes Signal aus. Wenn Papa und Mama Sicherheit und Stärke ausstrahlen, kommt das auch beim Kind an. Außerdem darf man die Kleinen nicht überfordern, muss die riesige Informationsflut entsprechend filtern. Wichtig ist, dass die Eltern immer der Fels in der Brandung sind. Auch dann, wenn die eigenen Sorgen und Nöte überhand zu nehmen drohen. Da muss man sich gegebenenfalls auch mal verstellen, dem Kind klar machen: ,Ich verteidige dich und diese Familie gegen das Virus, auch wenn ich mich dafür mit Schild und Schwert vor unser Haus stellen muss, um es zu bekämpfen!’“

Dennoch sei mit Angststörungen nicht zu spaßen. Bei Panikattacken und Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum rät Kurt Garbe, auf jeden Fall professionelle Hilfe aufzusuchen. Selbst wenn es Schwierigkeiten geben sollte, zeitnah einen Termin bei einem Psychologen zu finden, kann er keinen Notstand ausmachen: „Ich kann nur dazu ermuntern, sich in einem dringenden Fall bei der psychiatrischen Notfallambulanz zu melden. Wir sehen uns jeden Fall an und können in der Regel auch Hilfestellung geben.“

Das Ambulante Zentrum am Alexius/Josef Krankenhaus, Nordkanalallee ist erreichbar unter info@psychiatrie-neuss.de und Tel. 02131 / 52 92 87 20. Sprechzeiten: Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 8.30 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr sowie Freitag 8.30 bis 15 Uhr.

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