Albert Wunsch rettet „Zeugen der Industriegeschichte“ Lebendige Geschichte: Spannende Fundstücke aus dem B&S-Gelände

Nordstadt · Als Autor zahlreicher Bestseller hat sich der Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Pädagoge, -Psychologe und promovierte Erziehungswissenschaftler Dr. Albert Wunsch bundesweit einen Namen gemacht, in seiner Heimatstadt sorgt sich der Neusser um den Erhalt stadtgeschichtlicher Zeitzeugen. So hat er beispielsweise zahlreiche Exponate aus den Gebäuden der ehemaligen Firma Bauer Schaurte am Neusser Hauptbahnhof gesichert. Ein Großteil lagert jetzt beim Berufsförderungszentrum Schlicherum und wartet auf Katalogisierung.

 Alte Konstruktionszeichnungen wurden bestaunt: Dr. Albert Wunsch (vorn) ging mit Reinhold Krieg, dem letzten Betriebsleiter von Bauer   Schaurte, auf Entdeckungstour.

Alte Konstruktionszeichnungen wurden bestaunt: Dr. Albert Wunsch (vorn) ging mit Reinhold Krieg, dem letzten Betriebsleiter von Bauer Schaurte, auf Entdeckungstour.

Bevor die Bagger zu den Abrissarbeiten, die mittlerweile in vollem Gange sind, anrückten, stand ein ganz besonderer Besuch an – eine Tour durch die alten Firmenhallen mit dem letzten Betriebsleiter von Bauer Schaurte, Reinhold Krieg. Bereits vor rund einem Jahr hatte Wunsch gemeinsam mit dem BfZ-Team eine „Rettungsaktion“ gestartet (der Stadt-Kurier berichtete). Es folgten zahlreiche Termine, ermöglichst durch die gute Zusammenarbeit mit dem Investor, der BEMA Gruppe. Und auch das Stadtarchiv hat tatkräftig an der Sicherstellung zeitgeschichtlicher Exponate mitgewirkt. Doch der Rundgang mit Reinhold Krieg brachte nochmals einige Räume zutage, die bis dahin unentdeckt waren. Eine gute Gelegenheit für den Schlicherumer, seine Sammlung historischer BS-Andenken auszuweiten und für die Nachwelt zu sichern. Zu seinen Lieblingsstücken gehört ein Klischee (Druckform) eines Diplome de Gand Prix, das an die Neusser Firma anlässlich der Teilnahme an der Pariser Weltausstellung von 1937 verliehen wurde. Er entdeckte unter anderem ein Buch, in dem das Areal betreffende Fliegerbomben-Schäden im 2. Weltkrieg erkennbar sind, ein Glasdia (8,5 x 10 Zentimeter), auf welchem die Orga-Struktur vom Rüstungsminister Speer über die Gauleitungen bis hin zum BS-Werk verzeichnet ist oder ein Unfallbuch aus den 1960er Jahren, in welchem jeder Unfall mit Art, Name und Arztkontakt (meistens Dr. Greifensteiner) verzeichnet ist. In den Regalen schlummerten bis zu 100 Jahre alte Bücher, eine CD mit dem Titel „BS-Patente“ sowie Konstruktionszeichnungen und Klischees von Firmenlogos. In einem Anlagenbuch – erster Eintrag 1905 – erfährt der Leser, dass das Land zwischen Güterbahnhof und Weissenberger Weg 42.320 Mark gekostet hatte. Wunsch brachte Original-Firmenschilder in Sicherheit, baute eine Bunkertür aus, rettete Exemplare der damals für die Fabrikhallen typischen Quecksilberdampflampen, eine Telefonumschaltanlage und einen Motorblock der bei BS offenbar als Schauobjekt diente. Auch Alltagsgegenstände wie einen Spind aus der Umkleidekabine, einen Schubschrank, Föhn und eine Kugelkopfschreibmaschine warten jetzt in Schlicherum auf Aufarbeitung.

Das Stadtarchiv Neuss hat bereits seit 2012 auf eigene Initiative intensiv die Sicherung des Firmenarchivs von Bauer Schaurte betrieben. Der in den vergangenen Jahren bei mehreren Begehungen der zugänglichen Räume gesicherte, konservatorisch bearbeitete und über eine Zugangsliste erschlossene Bestand hat einen Umfang von knapp 40 laufenden Regalmetern und 1.679 Archiveinheiten, neben Akten und anderen Unterlagen auch Teile der Bibliothek, das Bildarchiv, Schraubenmuster und Gemälde der Firmeninhaber. Das gesamte Firmengelände mit allen Bauwerken und Räumlichkeiten wurde zudem durch den Fotografen Thomas Mayer bei mehreren Ortsterminen professionell fotografisch dokumentiert.

Bevor die Abrissbagger anrückten – zurzeit sind die Arbeiten im vollen Gange -, hatten sich Vertreter des Stadtarchivs mit Dr. Wunsch zu einer letzten gemeinsamen Begehung getroffen. Dabei wurden weitere Unterlagen geborgen. Vorher hatte sich Herr Wunsch bei einer selbst organisierten Begehung vor allem „musealen“ dreidimensionalen Sammelstücken (zum Beispiel Gussformen, Rohrpostanlage) gewidmet, die nicht vom Stadtarchiv übernommen werden können. Der private Heimatforscher und das Stadtarchiv haben sich jetzt darauf verständigt, dass die von Wunsch geborgenen, historisch relevanten Unterlagen mittelfristig dem Bestand des Firmenarchivs zugeführt werden. Klischees, dreidimensionale Relikte und große Teile der Bibliothek gehören nicht dazu. Darüber hinaus hat das Stadtarchiv Albert Wunsch seine volle Unterstützung für sein Anliegen zugesagt, zukünftig die von ihm geborgenen Relikte aus der Schraubenfabrik im Rahmen des geplanten Neubauprojekts zu präsentieren. Auf welche Art und Weise dies geschehen könnte, wird zurzeit diskutiert. Eins steht fest: Albert Wunsch hat mit seinem Engagement dazu beigetragen, ein Stück Neusser Industriegeschichte zu bewahren.Rolf Retzlaff

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