Kirchengemeinden sind ab 2021 umsatzsteuerpflichtig So verdient Vater Staat an Taufkerzen und Pfarrfesten

Beim Pfarrfest verkaufen Ehrenamtler selbst gebackenen Kuchen, die Würstchen sind heiß gefragt, beim Adventsbasar werden selbst gebastelte Gestecke verkauft, die Familie kauft in ihrer Kirche eine Taufkerze – und der Staat verdient mit, der bürokratische Aufwand für Haupt- und Ehrenamtler wächst: Ab Januar 2021 unterliegen die Kirchengemeinden der Umsatzsteuerpflicht. Was das in der Praxis bedeutet, hat der Stadt-Kurier Kreisdechant und Oberpfarrer Monsignore Guido Assmann sowie Sebastian Appelfeller, Vorsitzender der evangelischen Kirchengemeinden in Neuss und Pfarrer an der Kreuzkirche in Gnadental, gefragt.

 Oberpfarrer und Kreisdechant Guido Assmann muss sich mit der Umsatzsteuer für Kirchengemeinden auseinander setzen.

Oberpfarrer und Kreisdechant Guido Assmann muss sich mit der Umsatzsteuer für Kirchengemeinden auseinander setzen.

Neuss. Bereits 2015 wurde die Befreiung der Kirchengemeinden von der Umsatzsteuerpflicht abgeschafft. Dank einer Übergangsregelung muss die Umstellung allerdings erst bis Januar 2021 erfolgt sein. Alle Gemeinden in Neuss haben von dieser Optionserklärung Gebrauch gemacht – aber jetzt wird es ernst. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland haben eine mehr als einhundert Seiten starke Handreichung verschickt. Oberpfarrer Assmann ist bestens mit dem Thema vertraut: Seine Kirchen in Neuss-Mitte – St. Quirin, St. Marien, St. Pius und Heilige Dreikönige – sind Teil eines Pilotprojektes: „Wir werden bei der Umstellung intensiv vom Erzbistum begleitet“, sagt der Kreisdechant, die Neusser Erfahrungen sollen den Gemeinden in ganz Deutschland helfen.

Steuerpflichtig sind juristische Körperschaften öffentlichen Rechts, dazu gehören Gemeinden und Stiftungen. Nicht betroffen sind juristische Personen des Privatrechts wie Vereine. Aber wie geht man vor, wenn ein Verein im Namen der Gemeinde auf dem Pfarrfest etwas verkauft? „Wir müssen aufpassen, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt, jede Gruppe ist Teil unseres pastoralen Lebens“, macht Assmann deutlich. Auch beim Ausflug des Kirchenchores muss geklärt werden: Handelt es sich um eine Körperschaft, einen eigenen Verein oder eine private Veranstaltung? Und das unbürokratische Überweisen des Beitrags für den Ausflug auf ein Privatkonto ist nicht mehr gestattet. Steuerpflichtig werden künftig auch die Einnahmen auf Gemeindefesten sein. „Dabei ist es steuerrechtlich egal, ob der Erlös für den guten Zweck gespendet wird“, so Assmann. Er liefert eine anschauliche Erklärung: „Wenn jemand anderes als die Kirche die gleiche Dienstleistung anbietet, gibt es für die Kirche kein Sonderrecht mehr.“ Er befürchtet, dass künftig weniger gemeinschaftsstiftende Feste veranstaltet werden könnten und die Einnahmen aus solchen Veranstaltungen sinken – und damit auch die Unterstützung zahlreicher Projekte wie den Brunnenbau in Uganda.

Ein weiterer Aspekt ist der Anstieg des bürokratischen Aufwands: Selbst die Kassen kirchlicher Vereinigungen wie Frauengemeinschaft, Messdiener und Kirchenchor unterliegen der Umsatzsteuerpflicht.

Pfarrer Sebastian Appelfeller bemängelt, dass „mittlerweile die Bürokratie in der Summe erschlagend ist“. Er führt das polizeiliche Führungszeugnis, Dokumentationen, Hygieneschulung und Datenschutzerklärung an. „Jedes Thema ist nachvollziehbar, aber die Menge macht’s. Man muss vergleichen, wie hoch der gesellschaftliche Gewinn ist und der Preis, den man dafür zahlt“, so Appelfeller. Er würde es lieber sehen, wenn die Ehrenamtler ihre Kräfte in das Gemeinwohl investieren könnten – und nicht in die Bürokratie.

Rolf Retzlaff

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