Interview mit Reiner Breuer (SPD), dem alten und neuen Bürgermeister „Kooperation steht für neuen Weg“

Neuss · Reiner Breuer schreibt weiter Geschichte: 2015 zog er als erster Bürgermeister mit SPD-Parteibuch der Nachkriegszeit ins Neusser Rathaus ein, am 13. September verteidigte er im ersten Wahlgang mit 52,9 Prozent seinen Platz im Chefsessel. Am 1. November beginnt offiziell seine neue Amtszeit. Für den Stadt-Kurier Anlass, den alten und neuen Bürgermeister zum Interview zu bitten.

 Er darf auf dem Chefsessel sitzen bleiben: Reiner Breuers zweite Amtszeit als Bürgermeister beginnt am 1. November.

Er darf auf dem Chefsessel sitzen bleiben: Reiner Breuers zweite Amtszeit als Bürgermeister beginnt am 1. November.

Foto: Kurier Verlag GmbH/Rolf Retzlaff

Herr Breuer, nicht nur Sie schreiben lokale Politikgeschichte: Eine Kooperation von SPD, Grünen und UWG/Aktiv für Neuss verbannt die CDU in die Rolle der Opposition – das hat es in Neuss noch nie gegeben.

Breuer: Dies entspricht exakt dem Wählerwillen: Bei den Wahlen gab es drei Gewinner – SPD, Grüne und Bürgermeister. Die Bürger wollten, dass der Bürgermeister mehr Unterstützung als bisher im Stadtrat erfährt. Es geht um eine inhaltliche Ausrichtung und Erneuerung. Hinzu kommt, dass mit „Aktiv für Neuss“ Zugewanderte mehr Aufmerksamkeit erfahren und die UWG auch für Bürgernähe steht.

Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?

Die neue Mehrheit kann durchaus zukunftsweisend sein. Die Kooperation ist ein gutes Zeichen für eine sozial-ökologische Erneuerung und steht für den neuen Weg, den Neuss unter anderem in Sachen Klimaschutz, sozialen Fragen und Wohnungsbau gehen muss.

Ein neuer Weg, der schnell zum Ziel führt?

Die Verwaltung ist ein Tanker und kein Schnellboot. Aber wir müssen in verschiedenen Bereichen Tempo aufnehmen, unter anderem bei der Gestaltung des Wendersplatzes. Rat und Verwaltung werden jetzt verstärkt einheitliche Zielsetzungen formulieren und so einen klaren Kurs vorgeben.

Welche Themen brennen Ihnen unter den Nägeln?

Wir haben bereits viele Dinge vorbereitet wie zum Beispiel die Umgestaltung des Wendersplatzes und des Rennbahnparks, die Mobilitätswende und das Klimaschutzkonzept. Da müssen wir jetzt konkrete Maßnahmen umsetzen. Auch wichtig: das Streichen der Preisstufe B zwischen Neuss und Düsseldorf. Wir haben einen ganzen Strauß von Themen, bei denen die Übereinstimmung von „Rot-Grün-plus“ groß ist und wir so schnell weiterkommen werden.

In der Vergangenheit haben Sie immer wieder die so genannte Blockadepolitik der CDU kritisiert...

Zum Beispiel bei dem Vorhaben die Landesgartenschau nach Neuss zu holen, das von der CDU nicht aktiv unterstützt worden ist. Da werden wir hoffentlich eine Machbarkeitsstudie auf den Weg bringen. Eine krasse Fehlentscheidung des Rates war, den Kauf des Geländes der ehemaligen Schraubenfabrik Bauer & Schaurte am Hauptbahnhof abzulehnen. So haben wir die Planungshoheit aus der Hand gegeben.

Aber sozialer Wohnraum soll hier dennoch entstehen?

Auf jeden Fall. Der steht ganz oben auf unserer Agenda. Aber wir müssen sehen, welche Flächen wir dafür in Anspruch nehmen. Neuss muss überschaubar bleiben. Mit rund 160.000 Einwohnern ist Neuss groß genug. Wir brauchen jetzt eine aktualisierte Bedarfsermittlung für die nächsten Jahre, um sozialen Wohnraum bedarfsgerecht anbieten zu können.

Und wie sieht es mit der Ansiedlung von Gewerbe aus?

Die Zeit der Ansiedlungen von Großindustrie in Neuss ist vorbei. Neuss kann aber auch wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn nicht über Gebühr Flächen verkauft werden. Wir müssen sehen, wo wir Industriebereiche umwandeln können – wie zum Beispiel im Falle Etex und Bauer & Schaurte geschehen – und wo wir neue Arbeitsplätze schaffen und Gewerbesteuerzahler ansiedeln können. Wir müssen uns den Flächennutzungsplan ansehen, wo wir wachsen können und wo eher nicht.

Finanzielle Spielräume wird es mit Blick auf den städtischen Haushalt wohl kaum geben?

Coronabedingt werden wir wohl in diesem Jahr rund 40 Millionen Euro weniger Gewerbesteuern einnehmen. Wir prognostizieren eine Haushaltsverschlechterung um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Da müssen wir sehen, welche Summe das Land NRW zur Kompensation für den Ausfall der Gewerbesteuer an Neuss auszahlt. Das werden wir in den nächsten Tagen erfahren. Auch sind wir in der glücklichen Lage, über eine Ausgleichsrücklage aus Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 60 Millionen Euro zu verfügen.

Das heißt, es droht kein Haushaltssicherungskonzept und damit eine Fremdbestimmung durch den Rhein-Kreis Neuss?

Nein, dafür sorgt auch das neue Instrument eines „Sonder-Haushaltes“, in den alle durch die Corona-Pandemie verursachten Kosten fließen. Er wird nicht dem allgemeinen Haushalt zugerechnet und muss in den nächsten 50 Jahren refinanziert werden. Die finanziellen Sonderlasten von Corona werden somit generationengerecht verteilt.

Eine schwierige Zeit, in der wir leben. Wird denn jetzt wenigstens Ihr Leben als Vorsitzender der Ratssitzungen leichter?

Die Leitung des Rates war schon immer spannend, aber letztendlich geht es um Sachpolitik. Rund 95 Prozent der Entscheidungen wurden einstimmig beschlossen. Wir werden weiter unsere Entscheidungen zum Wohle der Bürger umsetzen.

Welche Rolle spielt dabei die CDU?

Natürlich werde ich sie bei den Entscheidungsprozessen mitnehmen und mir gerne ihre Ideen anhören.

Dann wünsche ich Ihnen ein gutes Händchen beim Führen der ersten Ratssitzung in der neuen Wahlperiode am 6. November!

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